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: Wie Mary Cooper die Welt sieht – und dennoch für George W. Bush gestimmt hat

Um vielleicht zu verstehen, warum George W. Bush ins Weiße Haus wiedergewählt wurde, hilft ein Mittagsmahl im „Freeze Grill“ in San Ysidro. Hier, in einem etwas abgelegenen Tal der Rocky Mountains von New Mexico Ende Oktober, kocht und bedient Mary Cooper. Die korpulente und sehr freundliche Frau Anfang sechzig trägt eine rosa-weiß gestreifte Schürze und plaudert gern mit den Gästen. Durch die Fenster fällt der Blick auf goldgelbe Bäume, eine verwaiste Tankstelle und karge Felswände am Horizont.

Bis vor kurzem arbeitete sie als Sekretärin und ihr Mann als Feuerwehrmann in Los Alamos, dem Geburtsort der Atombombe. Nun sind beide pensioniert. Hinter der Fastfood-Theke verdient sie etwas Geld für die Haushaltskasse dazu.

Sie ist erstaunlich gut informiert. Über den Irak, Afghanistan und den Wahlkampf. „Ich habe viel Zeit, lese Zeitungen und gucke ausführlich Nachrichten“, sagt sie. Wie viele andere Amerikaner sorgt sie sich um die Ausbildung ihrer acht Enkel, die Jobs ihrer drei Kinder und steigende Gesundheitskosten. Zu schaffen machen ihr und den anderen Einwohnern in der Gegend jedoch vor allem sechs Jahre Trockenheit. Das Wasser ist zeitweise rationiert.

Cooper hat ihr Leben lang in New Mexico gelebt. Sie glaubt an Gott, geht sonntags in die Kirche, stimmte in den 80ern für Reagan und später für Clinton. Vom Wahlkampfgeschrei in diesem Jahr hatte sie genug. Beide Seiten sind unehrlich zu den Wählern, meint sie. Die Aufregung der Republikaner, dass Schwule in manchen Städten heiraten dürfen, hält sie für übertrieben. Sie findet es nicht besonders gut, aber auch nicht verwerflich. „Ist schließlich deren Privatsache.“

Den Irakkrieg hält sie für falsch. Und Bush ist auch nicht sonderlich symphatisch, da er keine Fehler eingestehen kann. Aber in ihren Augen hat er Amerika, so wie sie es hier in San Ysidro wahrnimmt, nach dem 11. September sicherer gemacht. Das zählt. Außerdem weiß sie bei ihm, woran sie ist. Bei John Kerry nicht. Daher hat sie, nicht enthusiastisch, für den Texaner gestimmt.

Viele Menschen wie Mary Cooper haben Bush gewählt. Kerry wurde nicht, wie anfangs angenommen, vornehmlich von christlichen Eiferern besiegt. Es stimmt, ihre Zahl an den Wahlurnen war höher als vor vier Jahren. Und es es ist wohl auch richtig, dass die Abstimmung auf dem Wahlzettel in Ohio, ob die Homo-Ehe verboten sein soll, Bush dort möglicherweise die entscheidenden Stimmen gebracht hat. Doch es war kein radikaler Umsturz, sondern das Votum von Otto Normalbürger.

Folgende Daten unterstreichen dies: 38 Prozent jener Amerikaner, die Abtreibung befürworten, stimmten für Bush. Er bekam sogar 22 Prozent von Wählern, die gleichgeschlechtliche Ehe unterstützen. Bush hat in 45 von 50 Bundesstaaten zugelegt, darunter in den demokratischen Hochburgen Neuenglands. Rund 10 Prozent derjenigen, die 2000 noch für Al Gore stimmten, votierten diesmal für Bush.

Die bitterste Erkenntnis war für Demokraten, dass die alte Gleichung – von einer höheren Wahlbeteiligung profitieren stets sie – nicht mehr aufging. Bush gelang es, die republikanische Basis stärker als sonst hinter dem Ofen hervorzulocken. Aber er schaffte es auch, dass Menschen wie Mary Cooper, trotz ihrer Zweifel an seiner Politik, am Ende für ihn stimmten.

MICHAEL STRECK