Schwarzer Peter für die EU-Kommission

Mainstream der Wirtschaftswissenschaft fordert die Beibehaltung des Stabilitätspaktes. DIW dagegen will Anpassung

FRANKFURT/M. taz ■ Das Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel (IfW) hatte die Finanzminister in der Europäischen Union schon im Vorfeld der Brüsseler Entscheidung vor einer Demontage des Stabilitätspaktes gewarnt. Wer sich über die Vereinbarung, wonach das Budgetdefizit eines Mitgliedslandes nicht mehr als drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes betragen dürfe, hinwegsetze, „trägt faktisch zur Abschaffung des Stabilitätspaktes bei“, hieß es in einer Studie. Der Leiter der Forschungsabteilung Konjunktur, Joachim Scheide, sagte der taz denn auch gestern, der Beschluss des Finanzministerrats sei „unverantwortlich“. Der Pakt lebe davon, dass er von allen Regierungen akzeptiert und nicht „verbogen“ werde.

Scheide setzt jetzt auf die „Kommissionskarte“. Die düpierte Kommission, die das Defizitverfahren gegen Deutschland und Frankreich durchführen müsse, sei jetzt an der Reihe zu intervenieren und auf der Einhaltung der ursprünglich einstimmig beschlossenen Regeln zu bestehen. Mit der „vehementen Unterstützung“ durch die Europäische Zentralbank, so Scheide weiter, sollte es ihr auch gelingen, sich durchzusetzen. Wenn nicht, gehe die Eurozone schweren Zeiten entgegen. Vernünftige Alternativen zu den ökonomisch sinnvollen Bestimmungen im bestehenden Stabilitätspakt seien „nicht in Sicht“.

Klaus Zimmermann, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin, sieht das anders. Seiner Einschätzung nach sind sowohl der Stabilitätspakt als auch der Euro nach dieser Entscheidung sogar gestärkt: Immerhin sei es nun möglich geworden, den unflexiblen Pakt mit „Blick auf die Konjunkturschwankungen praktikabel“ zu machen. Und schließlich sei die in bestimmten Ökonomen-Kreisen vertretene Theorie, wonach die Stabilität des Euro hauptsächlich durch solide Staatsfinanzen garantiert werde, durchaus „fragwürdig“. Es lasse sich nicht leugnen, dass der Euro auch in Zeiten massiver Haushaltsprobleme in Deutschland und in Frankreich eine stabile Währung sei. Zimmermann plädierte dafür, die Ausgabenreduzierung zum neuen Maßstab für den Stabilitätspakt zu machen.

Joachim Scheide vom Institut für Weltwirtschaft hält dieses Konzept jedoch für „nicht praktikabel“. Brüssel könne nicht das ganz unterschiedliche Ausgabengebaren von zwölf Mitgliedsstaaten der Eurozone auf ein einheitliches festlegen. Und auch der Spitzenökonom des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHT), Axel Nitschke, will Zimmermann nicht folgen. Wenn einzelne Mitgliedsstaaten nun auf weitere Sparauflagen verzichteten, beschädige das sehr wohl das Vertrauen in den Euro. Hans-Joachim Massenberg vom Bundesverband Deutscher Banken sieht zumindest dann „erhebliche negative Folgen“ auf die Gemeinschaftswährung zukommen, wenn es Deutschland und Frankreich auch bis 2005 nicht gelingt, ihre Staatshaushalte auszugleichen.

KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT