Opposition: Rot-Grün lebt in Sünde

Bei der Haushaltsdebatte im Bundestag kommt der Union der Streit um den Euro-Stabilitätspakt gelegen: Fraktionschefin Angela Merkel wirft der Regierung vor, sich am „Erbe der D-Mark zu versündigen“. Schröder: „Der Pakt ist nicht dumm“

AUS BERLIN MATTHIAS URBACH

Wer geglaubt hat, mitten im Vermittlungsverfahren zwischen Regierung und Opposition um Agenda 2010 und Steuerreform würden die Kontrahenten im Bundestag milde miteinander umgehen, sah sich getäuscht. In der gestrigen Generaldebatte zum Haushalt 2004 dominierten nicht bloß laute Töne, die Opposition stieß hart ans Limit der maximal möglichen Kritik.

Der Kanzler führe „unser Land in eine wirtschaftliche Katastrophe“, klagte etwa Guido Westerwelle für die FDP. Die Politik des Finanzministers lege „Axt an die Idee der europäischen Einigung“, die Ausbildungsabgabe sei der letzte Akt vor dem „Sargnagel“ für den Mittelstand. Unionsfraktionschefin Angela Merkel erklärte Gerhard Schröders Politik gar zur „Tragödie für dieses Land“. Hans Eichel versündige sich „am Erbe der Deutschen Mark“.

Die Union bot keine neuen Gedanken für die Vermittlung, keine eigenen Sparvorschläge, dafür aber die Mahnung an die Regierung, endlich Sparvorschläge vorzulegen, mit denen das Vorziehen der Steuerreform zu 75 Prozent finanziert werden könnte. Dabei stammt die Forderung nach den 75 Prozent aus den Reihen von CDU/CSU.

Die gedankliche Enge der Opposition lässt sich gut an einer Passage in Merkels Rede illustrieren: „Herr Eichel möchte einen Großteil der Steuervergünstigungen und der Steuersubventionen jetzt verbraten, weil er einen nicht konsolidierbaren Haushalt hat – und nimmt sich damit das Fundament, dass wir in Deutschland jemals eine vernünftige durchsichtige Steuerreform bekommen.“

Im Klartext heißt das: Die Regierung soll einerseits konsolidieren, soll sich sogar zusätzlich Sparmaßnahmen ausdenken, um die Steuerreform „solide“ zu finanzieren. Sie darf aber andererseits nicht die Subventionen streichen, weil die Union darauf angewiesen ist, mit ihnen die Steuerreform ihres Experten Friedrich Merz finanzieren zu können – wenn CDU und CSU erst die Regierung stellen.

Merkel mied die konkreten Punkte, die derzeit im Vermittlungsausschuss anstehen. Dafür brachte sie es fertig, ein Vorhaben der Regierung, den Allokationsplan Klimahandel, bereits auf Vorrat zu kritisieren. Der von der EU vorgeschriebene Plan soll festlegen, wie viel Treibhausgase jede einzelne größere Fabrik in Deutschland ausstoßen darf. Es wäre „eine Katastrophe“, sagte Merkel, „wenn das nicht richtig gemacht“ würde.

SPD-Fraktionschef Franz Müntefering flüchtete sich angesichts der harschen Kritik in Sarkasmus. Die Begriffe „Sargnagel“, „Tragödie“ und „Katastrophe“ seien schon gefallen, vermutlich werde die Regierung bald mit Hungersnot und Pest in Verbindung gebracht. Kanzler Gerhard Schröder (SPD) mokierte sich darüber, dass der Regierung vermutlich bald die Verantwortung für das Wetter angelastet würde.

Das klang zuweilen hilflos, besonders als Schröder die Opposition beschwor, dass man die „positiven Ansätze stützen“ müsse. Die grüne Fraktionschefin Krista Sager durfte weniger staatstragend zur Opposition reden: „Sie hoffen, dass es mit diesem Land abwärts geht – damit es auch mit der Regierung abwärts geht.“

Natürlich ändern solche Appelle nichts, denn Union und FDP haben mit ihrer Strategie Erfolg, wie alle Umfragen illustrieren. Und die Regierung macht es ihr leicht, wenn sie es nicht schafft, solche PR-Desaster zu vermeiden wie beim Stabilitätspakt. Schröder wählte die Flucht nach vorn und stellte sich gestern noch einmal demonstrativ hinter Eichels Vorgehen im EU-Finanzrat: „Ich bin dem Finanzminister dankbar, dass er das so, wie es ökonomisch notwendig war, auch durchgesetzt hat.“ Der Stabilitätspakt sei nicht tot: „Ich halte den Pakt nicht für dumm, ich halte ihn nur für interprationsnötig und -fähig.“

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