Piratengericht in Hamburg

PIRATERIE Eine breite Koalition macht sich für ein Piraten-Tribunal am Hamburger internationalen Seegerichtshof stark. Kritiker monieren, dass der Gerichtshof für Prozesse dieser Art kein Mandat habe

Das Bundesinnenministerium hat Sorge, angeklagte Piraten könnten Asylanträge stellen.

VON SEBASTIAN BRONST

Kein Tag ohne Hiobsbotschaften aus den piratengeplagten Gewässern vor der Küste Somalias. Militärische Befreiungsaktionen, gewaltsame Schiffsentführungen, tote Geiseln. Am krisengeschüttelten Horn von Afrika führt die Welt einen Guerillakrieg gegen schwer bewaffnete Freibeuter. Prozesse gegen gefangene Piraten auf heimischem Boden aber scheinen Regierungen weltweit zu fürchten wie der Teufel das Weihwasser.

Das Augenmerk richtet sich daher zunehmend auf eine Alternative, die den beschaulichen Hamburger Elbvorort Blankenese zur juristischen Hauptfront im Kampf gegen die Piraten machen könnte. Die Idee: Ein Tribunal am dortigen internationalen Seegerichtshof (IFLOS) soll die Prozesse gegen die mutmaßlichen Täter künftig zentral übernehmen. Eine breite, sogar parteiübergreifende Koalition begeistert sich in Deutschland für ein solches Welt-Piratengericht – Hamburgs GAL-Justizsenator Till Steffen gehört ebenso dazu wie der Verband Deutscher Reeder (VDR), Schleswig-Holsteins SPD-Justizminister Uwe Döring und die innen- und verteidigungspolitischen Sprecher der Unions-Fraktionen im Bundestag. Auch der Kieler Seerechtsprofessor Uwe Jenisch hält es für sinnvoll, den chronisch unterbeschäftigten Seegerichtshof mit der Aufgabe zu betrauen: „Der Teufel steckt im Detail. Aber es wäre vernünftig, für Prozesse gegen Piraten eine übergeordnete Stelle zu schaffen“.

Ganz anders sieht das der ehemalige Präsident des Seegerichtshofs, Rüdiger Wolfrum. Er hält es für unsinnig, Verdächtige über tausende von Seemeilen nach Hamburg zu fliegen, um sie dort vor ein eigens geschaffenes UN-Gericht zu stellen. Dafür gebe es keine rechtliche oder praktische Notwendigkeit, betont der Völkerrechtsexperte. Das nationale deutsche Justizsystem könne das Problem aus eigner Kraft lösen, und im Übrigen sei der Seegerichtshof in Hamburg für Piraten-Verfahren auch nicht geeignet. „Ich habe dafür kein Verständnis.“

Tatsächlich sind es keine strafrechtlichen Zweifel, die Behörden und Politiker nach einem internationalen Tribunal rufen lassen. Piraterie ist ein Straftatbestand, den jeder Staat ahnden darf, sofern sich der Vorfall in internationalen Gewässern ereignet. Prozesse gegen Piraten, die deutschen Sicherheitskräften vor Somalia in die Hände fallen, wären nach geltendem Recht hierzulande möglich.

Die Gründe, warum das nicht passiert, sind vielschichtig. Das Bundesinnenministerium hat Sorge, angeklagte Piraten könnten Asylanträge stellen und Nachahmertaten provozieren. Hamburgs Justizbehörde hält Piraten-Prozesse wegen ihrer typischen „komplexen internationalen Gemengelage“ an einem staatenübergreifenden Gericht prinzipiell für besser aufgehoben, wie deren Sprecher Thorsten Fürter erklärt. Bislang bedienten sich deutsche Behörden eines Outsourcing-Modells, bei dem sie gefasste Piraten an Kenia überstellten. Die EU schloss unlängst ein Abkommen mit dem Nachbarstaat Somalias, das diese Praxis zur Regel macht. Doch mehr als eine Notlösung kann das kaum sein. Kenia ist kein rechtstaatliches Musterland. Erweisen sich die Verfahren dort als unfair, wäre die Überstellung weiterer Verdächtiger deutschen Behörden bald unmöglich, mahnte jüngst Hamburgs Justizsenator Steffen. Spätestens dann wäre ein internationales Gericht wohl die letzte Lösung.

Die damit verbundenen Probleme aber werden nach Ansicht von Völkerrechtlern massiv unterschätzt. Der Hamburger Seegerichtshof lasse sich nicht einfach zum Piraten-Tribunal machen, betont dessen früherer Leiter Wolfrum, jetzt Direktor des Max-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg. Der Seegerichtshof sei eine Streitbeilegungsinstanz nach Art eines Zivil- oder Verwaltungsgerichts, gedacht unter anderem für die Auslegung der UN-Seerechtskonvention.

Für Strafprozesse gegen Individuen sei er weder autorisiert noch geeignet, so Wolfrum. Das Mandant zu erweitern oder alternativ ein anderes UN-Piratengericht zu schaffen, dauere „mindestens ein bis zwei Jahre – wenn es schnell geht.“

Aber selbst damit sei noch keines der praktischen Probleme, die in Deutschland diskutiert werden, gelöst, betont Jenisch. Auch für ein internationales Gericht sei es schwierig, über große Entfernungen hinweg Beweise sichern zu lassen und andere rechtstaatliche Prinzipien zu gewährleisten. Es benötige dafür schon im Vorfeld die Unterstützung nationaler Ermittlungsbehörden, sonst würden Verdächtige aus aller Welt am Ende nur am Hamburger Flughafen „abgeladen“, ohne dass es Prozesse geben könne.