: „Negative Erfahrungen mit Freiwilligkeit“
EQUAL PAY Das durchschnittliche Lohngefälle zwischen Frauen und Männern liegt bei 23 Prozent. Karin Tondorf schult Betriebsrätinnen und Gleichstellungsbeauftragte, wie man dagegen vorgehen kann. Ein Interview
■ ist Beraterin zu Entgelt- und Gleichstellungspolitik. Am 8. 5. schult die 57-Jährige Gleichstellungsbeauftragte und Betriebsrätinnen im Auftrag des Feministischen Rechtsinstituts in Hamburg.
INTERVIEW FRIEDERIKE GRÄFF
taz: Warum hat es das Thema Entgeltgleichheit erst jetzt auf die politische Agenda geschafft, Frau Tondorf?
Karin Tondorf: Das Thema ist in Deutschland lange stiefmütterlich behandelt worden. Das liegt vor allem an fehlenden politischen Institutionen, die aufklären und Frauen in Konfliktfällen helfen. In anderen Ländern gibt es dafür seit langem mehr Anlaufstellen – und auch mehr Klagen. Es liegt aber auch an undurchschaubaren Entgeltsystemen.
Liegt das Gehaltsgefälle – derzeit 23 Prozent – an schlechteren Karrierechancen von Frauen oder daran, dass sie für gleiche Arbeit schlechter bezahlt werden?
Die 23 Prozent sind eine Durchschnittsgröße: Einerseits gibt es objektive Faktoren für die schlechtere Bezahlung, wenn zum Beispiel von Frauen und Männern unterschiedlich wertige Tätigkeiten ausgeübt werden. Eine Sekretärin kann nicht die gleiche Bezahlung beanspruchen wie eine Führungskraft. Es gibt aber auch diskriminierende Faktoren, zum Beispiel Benachteiligung beim Zugang zu Führungspositionen. Entgeltdiskriminierung liegt vor, wenn Tätigkeiten oder Leistungen von Frauen unterbewertet werden. Es kommt auch noch vor, dass gleiche Arbeit von Männern und Frauen ungleich bezahlt wird.
Wie findet eine Frau heraus, dass ihr männlicher Kollege für die gleiche Arbeit besser bezahlt wird?
Die Vergütung ist nach wie vor ein Tabuthema. Für Frauen ist eine solche Ungleichbehandlung sehr schwer festzustellen. Sie braucht die Unterstützung von Betriebsräten, Personalräten oder Gleichstellungsbeauftragten, die die Daten offenlegen.
Was können betroffene Frauen konkret tun?
Der Arbeitgeber muss auf Nachfrage die Gründe für die unterschiedliche Bezahlung benennen. Ich würde jeder Frau raten, im Konfliktfall einen Experten oder eine Expertin zu suchen, sei es im Betrieb oder in einer Rechtsstelle der Gewerkschaften, die den Fall überprüft. Um Indizien für Entgeltdiskriminierung vorzulegen, braucht man eine männliche Vergleichsperson mit den entsprechenden Lohn- und Arbeitsplatzdaten – die ist oft nicht einfach zu finden. In Unternehmen gibt es gesetzlich vorgeschriebene Beschwerdestellen, an die sich Frauen wenden können oder aber an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes.
Wie sind die bisherigen Erfahrungen mit Klagen?
In Deutschland kann man sie an einer Hand abzählen: Vor kurzem gab es die Klage eines Betriebsrates bei der Firma Süderelbe, da ging es um gleiches Entgelt für gleiche Arbeit. Dort ist ein Vergleich geschlossen worden. Schwieriger ist es herauszufinden, ob ungleiches Entgelt für eine unterschiedliche, aber gleichwertige Arbeit gezahlt wird.
Gibt es eine Scheu zu klagen, weil man Angst davor hat, das sich das Klima am Arbeitsplatz verschlechtert?
Auf jeden Fall. Wenn es einen Branchentarifvertrag gibt, kann man auch eine männliche Vergleichsperson aus einem anderen Unternehmen wählen. Das ist möglicherweise entlastend.
Die SPD fordert eine 40-Prozent-Quote von Frauen im Aufsichtsrat und Mindestlohn im Niedriglohnsektor, wo viele Frauen arbeiten – halten Sie das für sinnvoll?
Ja, das ist politisch sinnvoll.
Auch für realistisch?
Dazu braucht man eine Mehrheit im Parlament. Aber zurzeit ist Wahlkampf, da werden auch die Frauen als Wählerinnen entdeckt. Die Familienministerin hat gerade ein Instrument geschaffen, mit dem Unternehmen im Selbsttest Lohndiskriminierung prüfen können. Es wird wiederum auf Freiwilligkeit gesetzt – aber damit haben wir bereits in der Vergangenheit negative Erfahrungen gemacht.
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