Hart, offen und glanzvoll inszeniert

TEUFLISCHER ROCK Schon Nirvana und Henry Rollins liebten ihn – der Metalgitarrist Scott „Wino“ Weinrich zu Gast im Red Rooster

VON JULIAN WEBER

In Träumen werden Bilder nach Regeln aneinandergereiht, die der Oberfläche fremd sind. Eine Sentenz Siegfried Kracauers, die auf die Musik des US-amerikanischen Doom-Metalgitarristen Scott „Wino“ Weinrich angewendet hervorragend passt.

 Am Donnerstag stellte Wino sein 2008 erschienenes Solodebütalbum „Punctuated Equilibrium“ im Berliner Club „Red Rooster“ vor ausverkauftem Haus vor. Doom bedeutet, teuflisch tiefer gestimmte Instrumente. Sonst ist diese Musik unverstellter Metal, hart, offen, glanzvoll inszeniert. Zusammen mit zwei versierten Begleitmusikern nutzt Wino die Songs immer wieder, um kaskadenhafte Solotrips zu unternehmen, die ihn an die äußeren Ränder ungeordneter Virtuosität katapultieren und von dort leicht verändert wieder zurück in die Songstruktur. Ein Kunstflieger auf Angel Dust.  „Mind blowing“ nennt man das in USA. Im Zusammenspiel deutet das Powertrio Metal als Jazz. Bass und Drums brechen immer wieder aus und machen es der Gitarre nie zu einfach.

Breitbeinig steht Wino auf der kleinen Bühne, sich mühsam am Mikrofon festhaltend, scheinbar verwundert über sich selbst, aber auch elektrisch aufgeladen von der Wucht, die seine Les-Paul und der turmhohe Verstärker entfesseln. Alternative Pick-ups lassen die Gitarre in den Höhen knörig klingen. Feedback wird in die Melodien integriert. Oder spielen da zwei?

Nein, ein Verzerrer der Marke „Big Muff“ suggeriert kathedralenhafte Größe. Immer wieder reißt Wino die Gitarre herum; besser, die Axt reißt den dürren Brillenträger herum und bohrt ihn wie eine Mittelstreckenrakete immer tiefer in den Bühnenboden. Davor eine Ansammlung diverser Metalheads in Band-T-Shirts, mit Tribaltatoos übersäte Körperteile, dunkle Lederjacken, wurstdicke Dreadlocks in rosa und andere imposante Haarprachten. Sonst gibt es diese Häufung fein frisierter Matten vielleicht auf Rassehunde-Ausstellungen zu bestaunen. Jetzt moshen und bangen Jüngerinnen und Jünger aller Altersklassen, als gelte es, bei der Krankenkasse Prämien für ausgekugelte Nackenwirbel abzukassieren.

Wino ist eine Legende. Und gleichzeitig die Antithese zu jeder Form von Legendenbildung. Äußerlich ganz Schmierbacke, wie aus dem hinterletzten Roger-Corman-Biker-Movie hat der passionierte Harley-Fahrer noch auf jedem Album gegen die religiöse Rechte in den USA Botschaften parat. Andere Metalmusiker machen sich für die Waffenlobby stark, Wino singt kurz und bündig „We didn’t elect you / God didn’t select you / We will reject you“ in dem Song „Divine Propaganda“ seiner Band Hidden Hand.

Wino ist jedoch kein Preacherman. Sachlich sagt er seine Songs an, kommentiert sarkastisch, wenn ihm an seinem Gitarrensound etwas missfällt und ermuntert das Publikum, die ausverkaufte Aftershow-Party zu stürmen. Bekannt wurde Wino Ende der Siebziger, einer Ära also, in der Metal künstlerisch am Boden lag. Ausgerechnet die Hardcore-Punkszene in seiner Heimatstadt Washington D.C. akzeptierte den Gitarristen, der damals in der Band The Obsessed spielte. Musiker, wie Nirvana-Schlagzeuger Dave Grohl oder Henry Rollins schätzen an Wino, dass er durchzieht, die richtige Musik macht, wenn nötig zur falschen Zeit.

Die Songs auf „Punctuated Equilibrium“ sind geschwindigkeitstechnisch gleich mehrere Gänge nach oben geschaltet. Funkensprühend werden vor dem „Red Rooster“ auf der Warschauerstraße die Kanten der Straßenbahnschienen von Gleisarbeitern geschärft. So funkensprühend wie Winos Darbietungen an diesem glücksseligen Konzertabend.