Ausruhen von den Städten

LANDSCHAFTSARCHITEKTUR Von Beirut über São Paulo nach Innichen – ein Bildband zeigt schönere und weniger schöne Eingriffe in unsere Umgebung

Wasser scheint ein hervorragendes Element in der Landschaftsarchitektur

VON EVA-CHRISTINA MEIER

Wie können Freiräume und Ruhezonen in extrem verdichteten Städten die Lebensqualität nachhaltig verbessern? Was erwarten wir als deren Nutzer? Und welche gestalterischen Lösungen sind gefragt, um in der Natur Räume für Menschen zu schaffen und gleichzeitig das bestehende Ökosystem vor ihnen zu schützen?

Der 600 Seiten starke „Atlas der zeitgenössischen Landschaftsarchitektur“ präsentiert dazu keinesfalls nur die „besten“ Lösungen, sondern bietet eine umfangreiche internationale Bestandsaufnahme für die verschiedensten Facetten landschaftsplanerischer Gestaltung. Das Spektrum der Entwürfe reicht von Großprojekten – wie dem minimalistischen Entwurf einer norwegischen Lawinenschutzanlage – bis zur Begrünung von Innenhöfen als Ergänzung zum privaten Wohnraum.

Schnell wird klar, dass die vorgefundenen Ausgangsbedingungen maßgeblich das Projekt bestimmen. Wie privilegiert sind Länder wie Norwegen oder die Schweiz, deren Städte nicht überdimensioniert sind und die sich in unmittelbarer Nähe zu Wäldern, Wiesen und Seen befinden. Werden – wie am Katharina-Sulzer-Platz in Winterthur – Industrieareale in Wohnraum umgewidmet, dann versucht man den ästhetischen Charakter der vormals industriell genutzten Freiflächen zu erhalten und durch Verwendung hochwertiger Materialien ausgewählte Elemente aufzuwerten.

Für die rasant anwachsende Zwölf-Millionen-Metropole Shenzhen in unmittelbarer Nachbarschaft zu Hongkong sind die Voraussetzungen ganz anderer „Natur“. Auf einem unverbauten, handtuchschmalen Streifen zwischen mehrspurigen Ausfallstraßen und Wolkenkratzern entstand im Stadtteil Luohu, Teil der Sonderwirtschaftszone von Shenzhen, der Diwang Park B. Auf kleinster Fläche, um eine öffentliche Toilette angeordnet, ziehen sich mehrfarbige Pfade in Form langgestreckter Bänder, die das „Erlebnis des Spazierengehens“ unterstützen sollen – was vorzustellen schwer fällt. So überzeugen im „Atlas“ vor allem jene Entwürfe, die oftmals mit überraschend reduzierten Mitteln eine räumliche Auseinandersetzung mit dem Ort und seiner Geschichte betreiben.

Im Parque da Juventude in São Paulo auf dem ehemaligen Gelände einer aufgelassenen Haftanstalt berankt eine üppige Vegetation die Betonträger unvollendeter Bauruinen. Ein System begehbarer Stege macht sie für den Besucher zugänglich.

Im italienischen Innichen, einem beliebten Urlaubsort in Südtirol, wurden zur Verkehrsberuhigung und Neugestaltung des Zentrums Wasserflächen geschaffen, die auf besondere Weise Bezug nehmen auf die Eigenarten des Orts: Während im Sommer und Winter die Bewohnerzahl durch Touristen deutlich steigt, bleiben im Frühjahr und Herbst die Einheimischen fast unter sich. Dann werden die begrenzten Bereiche auf dem Boden der Fußgängerzone mit Wasser gefüllt und dadurch wird Fläche reduziert. Beginnt die Saison, wird wieder Platz geschaffen: Man lässt das Wasser abfließen. Überhaupt scheint Wasser ein hervorragendes Element in der Landschaftsarchitektur zu sein, um Räume zu strukturieren, Ruhe zu schaffen und uns zu beleben – eine stille, geometrische Fläche vielleicht mehr noch als eine sprudelnde Quelle.

■Álex Sánchez Vidiella (Hg.): „Atlas der zeitgenössischen Landschaftsarchitektur“. Dumont Verlag Köln, Dez. 2008, 600 Seiten, 68 Euro