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Mit Autokorso gegen Schließungen von Hamburger Grundschulen. Gangbarer Schulweg unverzichtbar für die Kindesentwicklung

„Kinder, die im Auto zur Schule gebracht werden, bekommen falsches Stadtbild“

von Kaija Kutter

Mit einem „Mit-dem-Auto-zur-Schule-bring-Tag“ haben 40 Eltern aus Berne gestern früh gegen die Schließung ihrer Stadtteilschule protestiert. Sie wollten zeigen, was passiert, wenn ihre Kinder bis zu drei Kilometer lange Schulwege haben, weil auch die Nachbarschule Schierenberg schließen soll und es in ihrem Bezirk dann ein „Vakuum ohne Schule“ gebe. Die Folge war zumindest gestern früh ein Verkehrschaos auf der Berner Allee.

„Meine achtjährige Tochter hat jetzt einen Schulweg von 700 Metern und braucht dafür 20 bis 30 Minuten“, berichtet Kerstin Burmeister. Werde die Grundschule Berne geschlossen, würde sich ihr Schulweg verdoppeln und sie müsste entweder durch einen dunklen Park oder entlang der viel befahrenen Berner Allee laufen.

Auch an der Schule Goosacker laufen Eltern Sturm gegen gefährliche Wege: „Mein sechsjähriger Sohn müsste über die vierspurige Osdorfer Landstraße gehen“, empört sich Kabarettist Michael Ehnert, der in einem offenen Brief an Bildungssenatorin Alexandra Dinges-Dierig (parteilos) von einem „Angriff auf die Gesundheit meines Kindes“ schreibt und in einem weiteren Brief Bürgermeister Ole von Beust (CDU) bittet, Dinges-Dierigs „Fehlentscheidungen zu korrigieren“.

Nach Einschätzung von Eltern, die wissen, dass Kinder nun mal langsamer gehen als Erwachsene, sind bereits ein oder 1,5 Kilometer Schulweg lang. Bildungsbehördensprecher Alexander Luckow spricht nun von „zwei Kilometern“, die für Grundschüler zumutbar seien und von denen es in Zukunft noch mehr Ausnahmen geben werde. „Unsere Kinder müssen künftig bis zu 3,4 Kilometer weit laufen“, empört sich Elternrätin Scarlett Warias. Sie berät mit dem Anwalt und früheren SPD-Parteivorsitzenden Jörg Kuhbier über Klagemöglichkeiten. Zudem sind unter den betroffenen Eltern Mitarbeiter einer bekannten Unternehmensberatung, die vorrechnen, dass der Schulentwicklungsplan finanziell ein Flop ist.

Doch auch die pädagogische Fachwelt äußert Unverständnis über die Schließung jeder siebten Grundschule. Hatte doch die Behörde noch am 22. September zusammen mit der Landesunfallkasse zur Aktion „Zu Fuß zur Schule gehen“ aufgerufen.

„Ich warne davor, gangbare Schulwege gering zu schätzen“, sagt zum Beispiel Knut Dietrich, Professor für Sportpädagogik an der Universität Hamburg. „Wir müssen Kinder nicht von der Straße holen, sondern auf die Straße bringen.“ Denn Kinder, die nie zu Fuß gehen und in Folge längerer und gefährlicherer Schulwege per Auto gebracht werden, bekämen ein „falsches Stadtbild“. Ihnen fehle nicht bloß eine wichtige Form der Alltagsbewegung. „Ihnen fehlen sinnliche Erfahrungen, dass beispielsweise eine Kastanie etwas anderes ist als ein Apfel.“ Auch kulturelle Unterschiede oder die Fähigkeit, Fremde richtig einzuschätzen, würden auf dem Weg zu Schule gelernt, weshalb dieser schlicht „bildungsrelevant“ sei.