BERLIN - VON KENNERN FÜR KENNER
: Der norddeutschen Seele verpflichtet

Gastro-Kritik: Das Restaurant Norden bedient alle, die Kulinarisches von der Küste lieben. Und leistet plattdeutsche Heimatkunde im Bergmannkiez

Er steht ja nur selten auf Speisekarten gehobener Häuser, dieser Kohl, der am besten schmeckt, wenn er schon Frost abbekommen hat. Grünkohl ist vor allem eine norddeutsche Spezialität, ein Bauernschmaus, früher ein Armeleutegemüse, das nie vom Ruf befreit wurde, delikatesten Ansprüchen nie genügen zu können. Grönkohl, wie er in der plattdeutschen Region genannt wird, diente dem Sattwerden und der Sättigung mit reichlich Vitaminanteilen – und der Zufuhr von viel tierischem Fett, um winters genug Speck auf den Rippen tragen zu können: Das sparte Heizenergie.

All dies ist nur noch Folklore – und doch sind Norddeutsche in Berlin ebendeshalb dem Restaurant Norden mitten im Kreuzberger Bergmannkiez so gewogen. Unangestrengt, fast ein wenig niedlich sein Interieur. Hell, klar, auf den Tischen Leuchttürmlein aus Schamott als Dekor, an den Wänden aktuell Bilder von Schleswig, der Bischofsstadt an der Schlei. Besitzer Udo Langemann hat sein vor zwei Jahren auf Rustikalität hin entworfenes Gasthaus andererseits von jeder Haifischbaratmosphäre freigehalten. Alles wirkt reell, hochdeutsch: nüchtern, solide, ehrlich, dennoch warmherzig.

Man fühlt sich also der norddeutschen Seele verpflichtet, hat Lokalblätter aushängen, beispielsweise die Kieler Nachrichten und die Wilhelmshavener Zeitung. Nachrichten aus der Heimat, die einem gerade im Multikulti-Kreuzberg ferner als sonst vorkommt. Gezapft werden norddeutsche Biere, Flens oder Jever, wobei man sich die Auswahl noch etwas origineller wünscht. Die Speisen sind strikt dem Landeskundlichen verpflichtet, kein Schickimicki, von den Scampi mal abgesehen.

Jedenfalls: Zu dieser Jahreszeit, trotz fehlenden Bodenfrosts, ist es in Sonderheit der Grünkohl, dem die Liebe gilt. Der Koch hat ihn – eine Neigung aus dem Mecklenburgischen und etwa in Hamburg absolut undenkbar – nach der stundenlangen Garung in Bauchfleisch und mit Kassler etwas angesämt: Das mag dem Mehlschwitzen-Tabu und damit der Etikette zuwiderlaufen – gehört sich aber so.

Als Fleisch – vegetarisches Grünkohlfuttern ist absurd – werden Kassler, Kochwurst, Bauchspeckscheiben und Pinkel gereicht. Letztere Zutat ist nicht das, was Sie denken, dass es das ist. Sondern eine Art Wurst, einst mit Bregen (Gehirn) gefüllt, heutzutage mit in Bouillon gegarter und mit Majoran aufgemotzter Buchweizengrütze. Grünkohl kriegt man in der Hauptstadt nicht besser.

Kaum anders verhält es sich mit der Gänsekeule, die mit Orangensoße (leider), Rotkohl und Butterkartoffeln serviert wird. Der Rotkohl „ischa ein Gedicht“, wie man dort oben sagen würde: wunderbar mild und zugleich doch von angenehmer Säure. Zum Schluss mal keine Rote Grütze, dafür kleine Frischkäsewindbeutel mit Vanilleeis und Rumkirschen. Lecker, das.

Was nicht verschwiegen werden soll: Das Norden brät die zweitbesten Bratkartoffeln der Stadt – offenbar mit Erdäpfeln, die nicht aus dem Brandenburgischen, sondern von holsteinischen Äckern stammen: würzig, sahnig, kraftvoll. Ein Muss! Worauf ein Köm gehört, der Grappa der norddeutschen Scholle: ein klarer Schnaps, der den Magen friedlich stimmt. JAN FEDDERSEN

Norden, Bergmannstr. 31, Nähe U 7 Gneisenaustraße, 10961 Berlin, (0 30) 63 90 17 70, tgl. 17–24 Uhr, Küche bis 23 Uhr, www.restaurant-norden.de