ausgehen und rumstehen
: Gewohnheitstrinken statt Wochenendwahn: Wodka auf der Straße und Schweiß im Golden Gate

Es war Freitag, ich befand mich nicht mehr auf der Höhe der Artikulation, jedoch in Plapperlaune. Woran eine beim Dönerladen am Rosenthaler Platz geleerte Flasche Wodka mit mir bekannten Mädchen zu tun hatte. Es sollte unser Feierabendbier nach den Mühen des Tages sein. Aber, so dachten wir, es wird auf einmal so früh dunkel, da passt kein Bier wie noch vor Wochen zum letzten Sonnenschein.

Also her mit dem klaren Schnaps. Wir hatten uns vorgenommen, uns wie die Jugend und außerdem unerfreulich zu benehmen. Demgemäß redeten die Mädchen neben mir ein wenig auffällig über Mitmenschen, während ich vom polnischen Büffelgraswodka trank, hörbar wahrnehmbar glucksend: Hätte ich einen Adamsapfel, ich würde ihn gern auf und ab bewegen. Es brannte und zog, und ich fühlte mich erträglich. Nach jedem Schluck blinzelte ich hektisch mit den Augen, um den Blick gerade zu rücken und die Lichtflecken zusammenzuhalten. Ich dachte Unsinniges und sprach es auch noch aus. Auf der Straße lagen rote, zackige Blätter, schleimig von der Nässe des Bodens, unser Atem war zu sehen. Eine verfilzte Frau schlurfte vorbei an unserem Grüppchen zu dem orangen Mülleimer an der Ampel. Sie hob eine vorbeigeworfene, beulige Bierdose auf, schüttelte sie, lugte in die Trinköffnung und goss sich den Rest in ihre eigene Bierflasche.

Uns war beklommen, wir verlagerten das Gewicht hin und her: Kälte und Ungeduld zeigten sich. Es wurde ungemütlich, ich schon müde, und dabei musste immer noch so viel Zeit vertrödelt werden. Wir ließen Fotos im Fotoautomaten knipsen, darauf waren wirre Haare und verdrehte Augen zu erkennen. Ich machte mir Vorwürfe: Morgen muss es früh werden, ich werde unaufgeweckt sein, ich werde mir zu spät am Tag ein schlechtes Frühstück kaufen. Alles würde sich gebeutelt anfühlen und nur schweigend zu überstehen sein. Und ich werde mir wünschen, endlich alt zu sein, damit der Wahn an den offiziellen Ausgehtagen aufhören kann. Der Plan: Mit Achtzig könnte ich Gewohnheitstrinkerin und Kettenraucherin auf dem Landsitz werden, in karierte Decken gewickelt. So hatte ich das in einem alten Film gesehen.

Doch auch das verging, ich vergaß das Selbstmitleid, die nächste Geselligkeit stand an. Ich sog die Wärme ein im Golden Gate, der Bass zuckte hitzig in den Bauch – eine Nacht zum in die Stücke fliegen. Die Menge jauchzte und fuchtelte, es waren Gesichter wiederzuerkennen, und es hieß zu reagieren. „Cool kids can’t die“ schrie es in mein Ohr, ja, ja, ich weiß Bescheid und versuche mich zu benehmen. Dazu gab es nicht viel zu tun: Ins Tanzen zurückziehen, die anderen betrachten, Bierflasche halten und irgendwann entscheiden, sich auf den Heimweg zu machen. Als die Menge sich auflöste im Zwielicht des Morgens, kam die Kälte durch die Wände, die Schweißwärme verschwand. Nichts schlimmer als nach draußen zu müssen, zu laufen, auf die Bahn im grellen Licht zu warten; nichts dringender als der Gedanke an den Schlaf. „Es muss mehr Musik gegessen werden“, sagte ein Freund, er schob neben mir sein Fahrrad die schon vereiste, glitzernde Schillingstraße entlang, wir rochen den Rauch an den Heimkehrenden, die uns entgegenkamen. Das war mehr als genug. JANE FRÄNZEL