Brand startet den Umbruch

Die deutschen Handballer proben beim World Cup in Schweden erstmals die Zeit ohne ihre großen vier. Der Bundestrainer weiß, dass Niederlagen darin inbegriffen sind

BERLIN taz ■ Der Plan, den Heiner Brand sich zurechtgelegt hatte, war ein guter, zumindest klang er äußerst plausibel. 78 Tage nach dem Gewinn der Silbermedaille bei Olympia und dem Rücktritt von den vier Leistungsträgern Christian Schwarzer, Stefan Kretzschmar, Volker Zerbe sowie Klaus-Dieter Petersen hatte der Handball-Bundestrainer den World Cup als ersten Schritt zum Neuaufbau der deutschen Handball-Nationalmannschaft nutzen wollen. In Schweden treffen ab heute die acht weltbesten Nationalteams aufeinander, um sich auf die im Januar anstehende Weltmeisterschaft in Tunesien vorzubereiten. Für Brand sollte dies eine ideale Gelegenheit sein, um den verbleibenden Mannschaftskern herum die nachrückende Generation unter tauglichen Bedingungen testen zu können. Doch die Realität will es nun anders.

Brand kann in Schweden aufgrund zahlreicher Verletzter nur über einen Bruchteil des eigentlichen Stammkaders zurückgreifen, mit Daniel Stephan, Florian Kehrmann (beide TBV Lemgo) und Frank von Behren (VfL Gummersbach) sind nur drei Spieler aus dem Olympiakader von Athen dabei. „Eigentlich wollten wir beim World Cup das Team für 2007 sehen, doch durch die vielen Absagen sieht es jetzt eher nach einem Sichtungsturnier für 2012 aus“, flüchtete sich Brand vor dem gestrigen Abflug in Sarkasmus. 2007 findet die Handball-WM in Deutschland statt. Es ist jenes Ereignis, das Brand schon jetzt im Visier hat.

Drei Jahre lang hat sich der deutsche Handball unter seinem Architekten Brand auf allerhöchstem Niveau präsentiert. In Schweden nun wird dieses Niveau schon in den Gruppenspielen gegen Island, Ungarn und Frankreich kaum zu halten sein. Zumal sieben Spieler, die im Aufbau-Konzept Brands eine zentrale Rolle spielen, nicht anreisen konnten: Abwehrspezialist Jan-Olaf Immel (Wallau), der etatmäßige Halblinke Pascal Hens (Bandscheibenverletzung) sowie Linksaußen Torsten Jansen (beide HSV) hatten sich schon vor längerer Zeit abgemeldet. Kurzfristig muss nun auch noch Kapitän Markus Baur (Lemgo) nach einer Achillessehnenverletzung sechs Wochen pausieren. Ebenfalls operiert wird Keeper Hennig Fritz vom THW Kiel (freie Gelenkkörper im Ellenbogen), sein Mannschaftskollege Christian Zeitz leidet unter einer Kapselverletzung in der linken Hand, die eingegipst werden muss. Mittelmann Oleg Velyky (TuSEM Essen) wiederum, der seit dem 1. April die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt und vom ukrainischen Verband freigegeben wurde, muss sein Länderspiel-Debüt wegen Leistenproblemen verschieben.

So lässt sich Brands erklärtes Ziel, möglichst bald „wieder eine gute Qualität in der Abwehr zu erreichen“, in Schweden wohl kaum verwirklichen. Brand weiß das selbstredend. „Es ist doch klar, dass wir nun zu den Teams einiger Länder aufschauen müssen“, sagt er. Fügt aber auch an: „Wir haben den Umbruch zu diesem Zeitpunkt ganz bewusst in Kauf genommen.“

Für die jungen Nachrücker bietet somit schon der World Cup eine veritable Chance, sich international beweisen und für höhere Aufgaben empfehlen zu können. Brand will aufstrebende Kräfte wie Tobias Schröder (TuS Lübbecke), Christoph Theuerkauf, Yves Grafenhorst, Christian Sprenger (alle SC Magdeburg) oder Lars Kaufmann (Concordia Delitzsch), immerhin schon Torschützenkönig der 2. Liga Nord, mit wachem Auge beobachten und speziell ihr Verhalten in der Gruppe studieren. Außerdem hat er Martin Heuberger zu seinem neuen Co-Trainer ernannt. Unter dem Mann aus dem badischen Schutterwald sind die DHB-Junioren gerade Europameister geworden. „Martin Heuberger war mein Wunschpartner für diesen Posten“, sagt Brand.

So eng die Personalsituation in Schweden auch ist, als Notnagel betrachten die Arrivierten die jungen Kräfte keineswegs. „Diese Spieler haben gute Leistungen in der Bundesliga gebracht und ihre Chance verdient“, sagt Daniel Stephan, der die Kapitänsrolle übernehmen wird – und sich sowie die anderen übrig gebliebenen Etablierten in der Pflicht sieht: „Wir sind jetzt gefordert, den jungen Spielern den Weg zu zeigen.“ Dass es dabei auch den ein oder anderen Rückschlag geben wird, stellt Stephan nicht in Abrede. Auch deshalb fordert er: „Man sollte die Messlatte nicht so hoch hängen.“

ERIK EGGERS