Ein Riss geht durch Europa

Streit um den Euro-Stabilitätspakt: EU-Kommission sieht ernste Krise, Bundeskanzler Gerhard Schröder beschimpft Kommission. CDU-Chefin Angela Merkel wirft Rot-Grün Sünde am Euro vor

BRÜSSEL/BERLIN taz ■ Der Euro-Stabilitätspakt ist schon schwer angeschlagen. Jetzt knirscht es auch in den Beziehungen zwischen Deutschland und der Europäischen Kommission. Die Kommissare trafen sich gestern Nachmittag zu einer Krisensitzung, um über Konsequenzen aus der Aussetzung des Defizitverfahrens gegen Deutschland und Frankreich zu beraten. Die Kommission stelle den entsprechenden Beschluss der EU-Finanzminister vom Vortag in Frage, so ein Sprecher von Währungskommissar Pedro Solbes. Dieser hatte Berlin und Paris zur Einhaltung des Stabilitätspakts zwingen wollen, war jedoch von den EU-Finanzministern unter Führung von Deutschland und Frankreich überstimmt worden.

EU-Präsident Romano Prodi warnte eindringlich davor, den Stabilitätspakt situationsbedingt anzuwenden. „Es gibt keine Regeln à la carte“, sagte Prodi. Er äußerte sich nicht zu einer möglichen Klage vor dem Europäischen Gerichtshof. In der Umgebung der Kommission wurde ein Gang vor Gericht nach Luxemburg aber für eher unwahrscheinlich gehalten. Vielmehr werde eine politische Lösung angestrebt. Die Lage sei „sehr ernst“, hieß es in der Kommission.

In Berlin verteidigte Bundeskanzler Gerhard Schröder das deutsche Vorgehen vehement. Es könne nicht sein, dass Vorgaben der EU-Kommission „sakrosankt“ seien, wetterte Schröder während der Generaldebatte über den Haushalt im Bundestag. Schon gar nicht könne Brüssel nach der Methode „Friss, Vogel, oder stirb!“ vorgehen, griff der Kanzler die EU-Kommission an: „Wenn das Mode wird, dann möchte ich mal sehen, was das für andere Bereiche bedeutet.“

Schröder dankte ausdrücklich Finanzminister Hans Eichel (SPD). Die Bundesregierung habe sich für ein höheres Defizit entschieden, um vorgezogene Steuerentlastungen finanzieren zu können. „Wir hätten die Vorgaben aus Brüssel erfüllen können, wenn wir die Steuerreform nicht vorgezogen hätten“, sagte Schröder. Den Euro-Stabilitätspakt wollte der Bundeskanzler nicht eins zu eins umgesetzt sehen: „Ich halte den Pakt nicht für dumm, ich halte ihn nur für interpretationsnötig und -fähig.“ Deutschland werde 2005 wieder unter die zulässige Defizitgrenze von 3,0 kommen.

CDU-Chefin Angela Merkel warf der Regierung vor, sie habe „der Kommission Zoff angedroht, nur weil die Realitäten nicht zu dem passen, was den Stabilitäts- und Wachstumspakt ausmacht. „Sie haben sich ganz systematisch an dem Erbe der Deutschen Mark versündigt.“ FDP-Chef Guido Westerwelle ging noch weiter: „Wer die Idee der Stabilität des Euro in Frage stellt, der stellt in Wahrheit die Idee der Europäischen Union in Frage.“

Auch außerhalb des Bundestags eskalierte der Streit. Der DGB bescheinigte Finanzminister Eichel, „in Brüssel einen guten Job“ gemacht zu haben. Dagegen nannte ein Vertreter des Deutschen Industrie- und Handelstags die Entscheidung einen „schwarzen Tag“ für den Stabilitätspakt“. KLH

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