Die Vorteile sind verloren

Die Kopfpauschale galt einmal als schlicht und transparent. Der Kompromiss von CDU und CSU ist das genaue Gegenteil

VON ULRIKE WINKELMANN

Eine Kopfpauschale könnte so einfach sein. Man nimmt alle Krankheitskosten und teilt sie durch alle Bürger, und fertig ist das Gesundheitssystem. Hat man 300 Krankenkassen, muss das eben jede Kasse für sich ausrechnen: Ausgaben geteilt durch Versicherte ergibt Kopfpauschale. Klingt schlicht und transparent. Das galt auch immer als Hauptvorteil der Kopfpauschale.

Nur leider funktioniert es so nicht. Das hat in diesem Jahr auch die CDU gemerkt. Was die Parteichefin Angela Merkel nun gestern nach langem Hickhack mit der CSU präsentierte, war schwierig und undurchsichtig. Transparenz aber „ist nicht bloß ein ästhetischer, sondern auch eine ökonomischer Wert“, erklärt der Steuerexperte und CDU-Berater Stefan Homburg. Der Hauptvorteil der Kopfpauschale wäre demnach schon zwei Jahre eher verloren, als die Union überhaupt in die Verlegenheit der Umsetzung käme.

Die Grundzüge dessen, was sich die Union unter dem deutschen Gesundheitssystem der Zukunft vorstellt, liegen aber immerhin auf dem Tisch. Demnach bleibt die Zweiteilung in ein Privatabteil für Gutverdiener, Beamte und Selbstständige auf der einen – und eine gesetzliche Versicherung für 90 Prozent der Bevölkerung auf der anderen Seite erhalten. Allerdings werden die Kinder der Privatversicherten aus dem allgemeinen Sozialausgleich mit finanziert.

Die Union kalkuliert mit Gesamtkosten von 130 Milliarden Euro. Nicht enthalten sind Zahnersatz und Krankengeld, die also von den Versicherten extra versichert werden müssen. Das Gesundheitsministerium bemängelte gestern zudem, dass diverse Verwaltungskosten nicht berücksichtigt seien – ein Sprecher nannte eine Finanzierungslücke von insgesamt „15 bis 20 Milliarden Euro“.

Was bisher ein Kassenbeitrag war – rund 14 Prozent vom Lohn, hälftig von Arbeitgeber und Arbeitnehmer finanziert –, wird künftig eine geteilte Prämie. Jeder Erwachsene zahlt erst einmal eine Prämie von etwa 109 Euro – je nachdem, was seine Kasse verlangt. Beträgt diese „persönliche Prämie“ mehr als 7 Prozent seines Einkommens, wird sie bezuschusst. Grundlage der Bezuschussung ist nicht nur der Lohn, sondern das gesamte Haushaltseinkommen. Einen Zuschuss beantragen müssen demnach alle, die weniger als 1.560 Euro brutto Haushaltseinkommen haben. Das werden neben Arbeitslosen und Kleinverdienern vor allem Rentner sein. Nach ersten Schätzungen wäre mindestens ein Fünftel aller Haushalte betroffen. Eingerechnet werden außer Lohn und Rente auch Kapitaleinkünfte.

Was bislang der hälftige Arbeitgeberbeitrag war, wird bei 6,5 Prozent eingefroren und wandert in einen Topf. Der heißt „Clearingstelle“ oder auch „Sondervermögen“ und wird beim Finanzamt angesiedelt. Ganz sicher entstehe „keine zusätzliche Behörde“ und damit kein Bürokratiemonster, sagte Merkel gestern. Von den in diesem Topf zusammenlaufenden etwa 65 Milliarden Euro gehen zwei Drittel, das sind 60 Euro pro Nase, als „Arbeitgeberprämie“ an die Krankenkassen. Der Rest dient dem Sozialausgleich.

Bei den Kassen kommt somit eine Gesamtprämie von etwa 169 Euro an. Ist die Kasse teurer, hat also zum Beispiel eine 180-Euro-Prämie, muss der Versicherte 120 Euro zahlen. Ist sie billiger, nimmt also bloß eine 150 Euro-Prämie, muss der Versicherte 90 Euro davon zahlen.

Auf diesem Prämienunterschied ruht für die Union der erstrebte „Wettbewerb“: Strömen alle zur billigsten Kasse, werden die anderen auch zum Kostendrücken gezwungen. Allerdings zeigt die Erfahrung im jetzigen System, dass bei einem Beitragsunterschied von 15 Prozent hier und 13 Prozent dort auch längst nicht alle strömen, sondern allenfalls die Jungen und Mobilen. Rentner zum Beispiel haben einfach keine Lust zu wechseln. Der Risikostrukturausgleich zwischen den Kassen ebnet ohnehin die meisten Unterschiede wieder ein – und würde dies auch bei der Union tun.

Kinder zahlen keine Prämie. Die Kinderversicherung soll demnach vornehmlich aus Steuermitteln gedeckt werden. Hierzu will die Union die geplante Steuerreform ein wenig abändern: Der Spitzensteuersatz soll nicht von 42 auf 36, sondern bloß auf 39 Prozent sinken. Diese verminderte Senkung des Spitzensteuersatzes ist der einzige Beitrag der privat versicherten Gutverdiener.

Von den Kopfpauschalen-Experten der Republik äußerte sich der Hauptvertreter, der Darmstädter Volkswirtschaftler Bert Rürup, gestern erst einmal gar nicht. Der Hannoveraner Steuerexperte Stefan Homburg erklärte: „Das wird nichts.“ Und der Berliner Volkswirtschaftler Gert Wagner sagte: „Die Zweiklassenmedizin bleibt erhalten, und die Umverteilung bleibt in der gesetzlichen Krankenversicherung stecken. Eine Antwort auf die Bürgerversicherung von Rot-Grün ist das nicht.“