Mit gestutzten Flügeln

Im finnischen Kuusamo beginnt heute die Weltcupsaison der Skispringer. Diese hat gleich zwei Neuerungen parat: Die Anzüge der Athleten sind enger geworden – und die Sprünge deshalb kürzer

VON FRANK KETTERER

Nun ist der Sommer also vorbei – und man kann das daran erkennen, dass es wieder losgeht, und zwar so richtig. Schon heute, im finnischen Kuusamo, wird es so weit sein: Junge Männer packen sich lange Latten aufs Kreuz, steigen eine hohe Schanze hinauf, schnallen sich die Bretter unter – und stürzen sich todesmutig hinab ins Tal. Der Winter ist da, unwiderruflich, und mit ihm die Zeit des Skispringens. Endlich!

Das Warten hat ein Ende. Und wie jedes Jahr, wenn der Winter beginnt, ist die Zeit, trotz aller Vorfreude, nicht frei von einem Gefühl der Unsicherheit, gerade bei jenen, die sich da hinabstürzen. Der Sommer war schließlich lang, das Training in all der Vorbereitung mühsam, die Konkurrenz hat bestimmt auch nicht geschlafen – und so weiß keiner wirklich, wo er steht und wie es um seine Form bestellt ist und um die der anderen.

Zumal sich die Rahmenbedingungen erneut geändert haben, ein bisschen nur, aber bei einer so komplexen Angelegenheit wie dem Skispringen reicht das schon, um die Verhältnisse durcheinander zu bringen. Im Prinzip geht es um sechs Zentimeter; nur um so viel noch dürfen die Anzüge der Springer weiter sein als ihre schmächtigen Körper. Sinn und Zweck der neuen, vom Internationalen Skiverband FIS erlassenen Regel liegen auf der Hand: Das Athletische, die Sprungkraft, soll wieder mehr in der Vordergrund treten – und somit ein Trend verhindert werden, der zuletzt zu beobachten war: Immer mehr magersüchtig anmutende Milchgesichter ließen sich eher auf dem Luftkissen ihrer übergroßen Anzüge mehr zu Tal tragen, als dass sie sprangen. „Wir haben gerade diesem Typus von Springern die Flügel gestutzt“, sagt Walter Hofer, der FIS-Renndirektor.

Versucht hatte das der Internationale Verband schon im letzten Winter, auch damals sollte die Stoffmenge der Anzüge reduziert werden. Der Versuch schlug fehl, die FIS hatte eine Lücke im Regelwerk gelassen, die zunächst von den Österreichern entdeckt und ausgenutzt wurde, später im Winter auch von allen anderen Nationen: Das Anzug-Hinterteil schlapperte fortan, wie bei jungen Hiphoppern, plötzlich in der Gegend des Knies. Das war einerseits regelkonform – und bot andererseits eine größere Fläche, die beim Springen flugs zu Tragfläche wurde. „Das war wie ein kleiner Fallschirm“, sagt Martin Schmitt, deutscher Vorzeigespringer.

Damit hat es nun ein Ende, die FIS hat die Regeln präzisiert, die Anzüge sind endgültig enger geworden. „Wir sehen nicht mehr so albern aus wie im letzten Jahr, als uns der Schritt fast bis zu den Knien hing“, nennt Schmitt eine der Auswirkungen, die man auf Anhieb sehen kann. Eine andere führt Adam Malysz, der fliegende Pole, ins Feld: „Bei den ersten Tests kam ich mir vor, als würde ich mit einer Badehose springen.“

Vor allem dieses Gefühl hat weitreichende Folgen: In der Anlaufspur sind die Springer wegen des fehlenden Luftwiderstands der engeren Anzüge um ein bis zwei Stundenkilometer schneller, im Flug fehlt ihnen der Fallschirm. Der Sprung wird steiler, ebenso der Landewinkel. „Die Flugkurve ist ballistischer“, beschreibt das FIS-Renndirektor Hofer. Springer Schmitt sagt: „Wir sind auch in der Luft schneller, kommen von einer größeren Höhe, sodass auch der Landedruck größer wird.“ Die Folge: „Das tut mehr weh.“ Sven Hannawald kann dem Kollegen da nur beipflichten. „Der ein oder andere Springer wird einen Sprung über die Juryweite stehen, trägt dann aber bestimmt Schäden davon“, sagt der laut Umfragen bekannteste deutsche Skispringer. Beide DSV-Adler wissen, von was sie reden; beide haben Knieoperationen bereits hinter sich.

Walter Hofer weiß um die Gefahr – und sieht die Jury in der Pflicht. „Wir können uns nicht erlauben, so große Weiten wie bisher möglich zu machen“, sagt der FIS-Mann. Denn: Je weiter der Sprung, um so spitzer der Aufprallwinkel – und somit das Gesundheitsrisiko. Die Konsequenz: „Wir müssen über den Anlauf noch Einfluss auf die Weite nehmen.“ Das könnte die absurde Folge haben, dass der Springer weniger Anlauf zur Verfügung hat, dennoch eine höhere Geschwindigkeit am Schanzentisch erreicht – und schließlich doch früher landet als bisher. Der Popularität des Sprungspektakels wird dies, glaubt Hofer, keinen Abbruch tun. „Das Feld wird enger zusammenrücken – und die Spannung größer werden, auch wenn nicht so weit gesprungen wird“, hofft der Österreicher. Damit handelt er sich freilich Widerspruch von Wolfgang Steiert ein, dem neuen Bundestrainer. „Man muss jetzt technisch unheimlich sauber springen“, sagt der, und prophezeit: „Wenn die Topspringer in Form sind, wird es sogar eine größere Streuung geben.“

Wohin das führen wird? Man muss das wohl abwarten, der Winter beginnt ja erst heute in Finnland. „Wir hatten den ganzen Sommer über Zeit, uns an das neue Material zu gewöhnen“, sagt derweil Martin Schmitt, nach anfänglichen Problemen scheint das auch den deutschen Springern mittlerweile gelungen. Der Pole Adam Malysz wiederum prophezeit: „Am Ende werden die vorne sein, die immer vorne waren.“