Auftrumpfende Ratlosigkeit

Das neueste Konkurrenzspiel der Parteien heißt „Patriotismus“. Was soll diese vaterländische Rhetorik?

„Mit Nationalgefühl beginnt’s, und mit Cholera und Ruhr und Diktatur endet es“, schrieb der österreichische Schriftsteller Leo Perutz. Da die Deutschen das bestätigen können, fordern hierzulande nur Extremisten eine Stärkung des Nationalstolzes. Alle anderen benutzen das Zauberwort des Patriotismus, wenn sie ein Gemeinschaftsgefühl der Bevölkerung betonen oder erzeugen wollen. Der Begriff ist praktisch, weil unverdächtig, aber etwas schwammig. Der Fremdwörterduden bezeichnet Patriotismus als „Vaterlandsliebe, vaterländische Gesinnung“. Das hilft nicht recht weiter.

Denn was ist eine „vaterländische Gesinnung“? Dass man wünscht, es möge dem eigenen Land gut gehen? Dafür bedarf es keiner patriotischen Sentiments, sondern lediglich eines klaren Blicks für die eigenen Interessen. Und was ist Vaterlandsliebe? Muss man Bayern und Thüringen höher schätzen als Italien? Oder reicht es, die deutschen Regionen überhaupt zu mögen? Und müssen es alle sein? Im Versuch einer Abgrenzung wird Nationalgefühl gelegentlich als Emotion bezeichnet, die sich auf ethnische Zusammengehörigkeit beziehe, während Patriotismus sich territorial definiere. Da hatten die Deutschen seit Gründung des Deutschen Reichs allerdings oft Anlass, ihre Gefühle den Gegebenheiten anzupassen.

Sollte sich wenigstens die CDU, wie von ihrer Parteivorsitzenden gewünscht, demnächst auf eine gemeinsame Form von Patriotismus verständigen, dann wird das zwar manche Herzen wärmen, aber kaum eine Antwort auf tagesaktuelle Fragen bieten. Wenn Politiker (fast) jeder Couleur den Patriotismus nun dennoch bemühen, um ihre jeweiligen Ansichten und Wünsche zu salben, dann sind die Motive dafür interessanter als das Ergebnis jeder Debatte über das Thema selbst. So unterschiedlich Konservative und demokratische Sozialisten den Begriff nämlich auch verstehen: die Gefühlslage, die der neuen Wortmächtigkeit zugrunde liegt, ist offenbar dieselbe. Auftrumpfende Ratlosigkeit.

Die Regierung und ihre Parteigänger haben es lange als hinreichend erachtet, die eigene Politik für „alternativlos“ zu erklären. Das genügt jedoch nicht, wenn einem zur Lösung bestimmter Probleme gar nichts einfällt. Will man der Steuerflucht keinen Riegel vorschieben und kann man die Opposition nicht zum Kompromiss zwingen, dann werden halt die Nutznießer der bestehenden gesetzlichen Regelungen oder die Widerständler als unpatriotisch gegeißelt. Das dürfte die Gescholtenen zwar wenig beeindrucken, schweißt aber vielleicht wenigstens die Anderen zusammen. Hinter großen Worten steckt oft ein bescheidener Anspruch.

Die Union will nach rechts hin integrieren – und sich zugleich abgrenzen. Schwierig. Je häufiger eine Debatte über Patriotismus eingefordert wird, desto eher dürfen nämlich Reaktionäre glauben, furchtbar wichtig zu sein. Sie reagieren ebenfalls auftrumpfend, wenn sie Oberwasser bekommen. Aber nicht ratlos.

Die Bundesrepublik ist ziemlich lange ziemlich gut ohne Patriotismus ausgekommen. Wie schrieb seinerzeit Kurt Tucholsky? „Wir pfeifen auf die Fahnen, aber wir lieben dieses Land.“ Und: „Im Patriotismus lassen wir uns von jedem übertreffen – wir fühlen international. In der Heimatliebe von niemand – nicht einmal von jenen, auf deren Namen grundbuchlich eingetragen ist. Unser ist es.“ Recht hat er.

BETTINA GAUS