Gewohnheit verzerrt Wettbewerb

Wildes Plakatieren ist in Bremen verboten: Die Stadt hat die Nutzungsrechte für Flächen im öffentlichen Raum an die Deutsche Städte-Medien GmbH abgetreten. Etliche Kulturveranstalter plakatieren trotzdem und laufen dabei Gefahr, verklagt zu werden

Das Weitermelden an den Rechtsanwalt ist ein „Spiel mit Augenmaß“

Gedanken sind frei. Sie frei und kostenlos seinen Mitmenschen mitzuteilen, dafür gibt es die Leserbriefspalten der Zeitungen und den öffentlichen Raum. Dieser gehört zwar offiziell der Stadt, eigentlich aber den Arbeitgebern der Politiker, den Bürgern. Wenn diese aber mal nicht nur ihre Gedanken äußern, sondern beispielsweise eine Veranstaltung zur Meinungsäußerung in künstlerischer Form ankündigen wollen, ist dies in Bremen verboten.

Bremen hat die Rechte für das Plakatieren auf öffentlichen Flächen wie Ampeln, Schaltkästen, Straßenabsperrungen, Baumschutzgittern, Schildern, Laternenpfählen, Eisenbahntunnels und Brücken abgetreten, sie also der Öffentlichkeit enteignet und zur Ware gemacht. Betroffen sind davon vor allem die finanziell chronisch klammen VeranstalterInnen kleinerer Kulturereignisse, die auf ihre Konzerte, Lesungen, Theateraufführungen oder Ausstellungen mit geklebten Plakaten auf sich aufmerksam machen wollen.

Und geklebt wird trotzdem. „Gewohnheitsrecht“, sagt Günter Kahrs, Slam-Poetry-Veranstalter im Lagerhaus. „Falsch“, sagt Rechtsanwalt Torsten Hintzsche. Das wilde Plakatieren sei „Wettbewerbsverzerrung“, da andere Veranstalter auch ihre Werbeflächen anmieten müssten. Außerdem handele es sich um die Tatbestände der „Besitzstörung, Miet- und Nutzungsrechtverletzung“, so Hintzsche. Er vertritt den aktuellen Mieter der ehemals öffentlichen Bremer Flächen.

1997 hatte der damalige Bausenator Bernt Schulte (CDU) zur Stadtbildpflege den Kampf gegen Wildplakatierung und Graffiti privatisiert und mit der Deutschen Städte-Reklame (DSR) einen Vertrag geschlossen. Sie soll das gesamte Stadtmobiliar sauberhalten, dafür bekommt sie kostenlos das Recht, ein Drittel der Fläche selbst werblich zu nutzen. Dieser Vertrag wurde 1998 auf die Deutsche Städte-Medien (DSM) GmbH und von dort auf das Tochterunternehmen SK Kulturwerbung Bremen-Hannover GmbH übertragen. Ihr Geschäftsführer Detlef Bohlig erklärt, seit nunmehr fünf Jahren zwei Mitarbeiter durch die Stadt patrouillieren zu lassen, die offiziell „Medienwart“ heißen. Ihr Job: abkratzen, reinigen – und mit der Digitalkamera dokumentieren, wer wie wo wie viele Plakate geklebt hat.

Sollte ein Veranstalter mit seinen Klebereien „das Fass zum Überlaufen bringen“, so Bohlig, gebe er die Fotos als „Schadensmeldung“ an Hintzsche. Der Rechtsanwalt fordert daraufhin eine Unterlassungserklärung ein – nach der bei Zuwiderhandlung 2.500 Euro Strafe fällig würden. Sofort ist allerdings eine Kostennote zu begleichen.

Günter Kahrs hatte 21 Slam-Hinweise geklebt und soll dafür 586 Euro zahlen. Pierre Jedrzejczak hatte 51 Plakate für ein HipHop-Festival im Sportgarten kleben lassen, wofür jetzt 896 Euro an Hintzsche zu zahlen sind. „Es gibt keinen Zusammenhang zwischen der Anzahl der Plakate und der Kostenrechnung“, betont Hintzsche. Zwischen dem ersten und dem zweiten „Fall“ habe sich nur die Anwaltsgebührenordnung geändert. „Das Recht ist teurer geworden.“

Grundlage der Kostenrechnung ist ein „Gegenstandswert“, den das Gericht „Streitwert“ nennt. Der wurde, laut Hintzsche, in ähnlichen Fällen auf 15.000 Euro festgesetzt. Sein Anwaltshonorar orientiere sich dabei prozentual am Gegenstandswert. Der Anwalt ist der einzige, der an den Klagen verdient. Die SK Kulturwerbung erhält keinen Cent.

Wer aber brav unterschreibe, dem würden auch Kosten erlassen, verspricht Hintzsche. Wer nicht unterschreibe, der werde verklagt. „Ich habe bisher immer Recht bekommen“, sagt Hintzsche.

SK Kulturwerbung kümmert sich um die öffentlichen Flächen in Bremen, Osnabrück und Hannover. Zwanzig, dreißig Unterlassungserklärungen pro Jahr gingen an Wildplakatierer schon raus, bestätigt Bohlig. Hintzsche spricht von zehn pro Monat. Jeweils die Hälfte unterschreibe und zahle fristgerecht, so Bohlig.

Für Bohlig ist das Weitermelden der Plakate immer neu „ein Spiel mit Augenmaß“. Denn: „Eigentlich dürfe überall gar nichts hängen.“ Aber in der „Kunstgeburtsstätte Bremer Viertel“ (Bohlig) gucke man schon mal mit halb geschlossenen Augen hin. In der Innenstadt, die als Visitenkarte der Stadt besonders sauber sein müsse, „laufen wir aber mit ganz großen Augen herum und bringen sehr schnell zur Anzeige“. Man dürfe halt den öffentlichen Raum nicht zuplakatieren, genausowenig wie man in ihm pinkeln dürfe.

Die partielle Rigorosität scheint gewünscht zu sein. Bohlig: „Seit 1999 habe ich von der Behörde des Bau- und Umweltsenators nichts gehört, also machen wir unsere Arbeit wohl zufriedenstellend.“

Eine zufriedenstellend außergerichtliche Lösung strebt Bohlig auch an für die Wildplakatierer. Er will einen genehmigungsfreien Gemeinraum schaffen. Bei seiner Muttergesellschaft DSM habe er beantragt, in Bremen Litfasssäulen zum kostenlosen Plakatieren aufzustellen. Desweiteren biete er schon jetzt staatlich geförderten Kultureinrichtungen an, für 12 Cent pro Tag ein Din-A-1-Plakat auf den Flächen der SK Kulturwerbung hängen zu dürfen. Denn nur die Gedanken sind für umsonst. fis