Alles, was Mann ist

Eine Tagung an der Universität Oldenburg will Theorie und Praxis der Jungenarbeit zusammenführen. Davon profitieren soll auch Mädchenarbeit

Der Praktiker: „Jungenarbeit ist mehr als Gewaltpädagogik“

Bremen taz ■ Jungenarbeit hat Hochkonjunktur. Eine Tagung am Donnerstag in Oldenburg, die sich der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Thema widmet, ist ausgebucht. 140 Anmeldungen und eine Warteliste – damit habe sie nicht gerechnet, sagt Heike Fleßner, Professorin der Erziehungswissenschaft und Geschäftsführerin des Zentrums für interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung an der Universität Oldenburg. Besonders gefreut habe sie sich darüber, dass die Hälfte der Teilnehmer – überwiegend aus der pädagogischen Praxis – Männer seien.

Kein Wunder, lebt Jungenarbeit doch davon, dass „geschlechtsbewusste“ männliche Sozialarbeiter oder Pädagogen Jungen „auf ihrem Weg zum Mann sein“ begleiten, wie es Klaus Ganser vom Verein „Männerbüro“ in Hannover formuliert. Viele Methoden seien von der Mädchenarbeit übernommen worden – an erster Stelle die Arbeit in geschlechtergetrennten Gruppen. Unterschiedlich seien vor allem die Inhalte: „Jungen beschäftigen andere Themen als Mädchen“ – zum Beispiel das Bild vom bösen, gewalttätigen Mann. Das Sprechen über Gefühle und Pobleme sei nach wie vor wichtig: Als „männlich“ würden immer noch Empfindungen von Wut und Stärke gelten, „während Zuwendung oder Ohnmacht im Verdacht stehen, weiblich zu sein“.

In ihrer Arbeit versuchen Ganser und seine Mitstreiter Jungen zu zeigen, dass „Männlichkeit“ mehr und für jeden Jungen etwas anderes bedeuten kann. Wichtig ist ihm, dass Jungenarbeit mehr ist als Gewaltpädagogik, die der Gesellschaft Kosten durch randalierende Jungs ersparen soll. „Das ist eine verkürzte Sicht auf Männlichkeit.“ Für andere Jungs könne es sogar sinnvoll sein, mit ihnen in einen Kraftraum zu gehen: „Manche erleben so ihre Körperlichkeit zum ersten Mal.“

Doch was passiert, wenn die Konzepte nicht aufgehen, wenn die Jungs den Ausflug in den Kraftraum dazu nutzen, sich gegenseitig runterzumachen? Die Erfolge ausbleiben oder nicht sichtbar werden? Für solche Fälle brauche es ein theoretisch fundiertes Gerüst, sagt Tagungsorganisatorin Fleßner. „Das ist wichtig, um einen langen Atem zu entwickeln und nicht innerlich abzudrehen.“ Bisher seien Theorie und Praxis der Jungenarbeit zum Teil „nebeneinander hergelaufen“, das wolle die Tagung ändern.

Profitieren könnte davon auch die Mädchenarbeit, sagt Corinna Voigt-Kehlenbeck, Geschlechterpädagogin am Jugendhof Steinkimmen. Statt die Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen zu betonen, müsse es stärker um die Beziehungen der Geschlechter gehen – die immer abhängig seien von den jeweils geltenden Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit. Jungen und Mädchen würden gleichermaßen – auch in ihrer Berufswahl – beeinflusst davon, dass Leistungsbereitschaft und Konkurrenzdenken gesellschaftlich hoch im Kurs stehen, während Fürsorge abgewertet wird. Geschlechtergetrennte Gruppen könnten in der Auseinandersetzung mit solchen Bildern immer noch helfen. Manchmal sei es allerdings sinnvoller, Jungen und Mädchen gemeinsam arbeiten zu lassen, zum Beispiel wenn es um Beziehungen zueinander gehe. „Das hängt immer von der Gruppe ab.“

Während die Auseinandersetzung mit Geschlechtergerechtigkeit in Jugendeinrichtungen und -ämtern schon recht weit gediehen sei, vermisst Fleßner eine Öffnung der Schulen für das Thema. „Das muss richtig im Leitbild der Schule verankert sein, sonst rackern sich einzelne damit ab.“

Eiken Bruhn