Spion oder Gast?

Die Türkei will in die EU – von deren Standards in Sachen Pressefreiheit ist sie aber noch weit entfernt. Das erfuhr ein taz-Reporter am eigenen Leib

von PHILIPP GESSLER

„Die Presse muss absolut frei sein“, hat Mustafa Kemal Atatürk 1923 einmal gesagt, „sie sollte nicht – aus welchen Gründen auch immer – unter Druck gesetzt werden.“ Dieses Ziel ihres Staatsgründers hat die Türkei bis heute nicht erreicht. Aber immerhin hat der Bericht der EU-Kommission zur Frage einer Aufnahme der Türkei in die Union auch in Sachen Pressefreiheit Fortschritte festgestellt.

Das neue Pressegesetz habe staatliche Sanktionen abgeschafft, mit denen es möglich war, Veröffentlichungen zu verbieten, den Vertrieb zu unterbinden oder Druckmaschinen zu beschlagnahmen, so die Komission. Weiterhin aber würden „in zahlreichen Fällen“ Journalisten und „Bürger, die ihre Meinung friedlich äußern, noch rechtlich verfolgt“. In einer jüngst veröffentlichten Rangliste von „Reporter ohne Grenzen“ landete die Türkei in Sachen Pressefreiheit mit Ruanda auf Platz 113. (Zum Vergleich: Dänemark Platz 1, Deutschland 11, Nordkorea als Schlusslicht 167.)

So weit die Lage für türkische Journalisten – wie aber steht es um ausländische Journalisten, die die Türkei bereisen? Sind sie frei in ihrer Berichterstattung?

Seit drei Jahren organisiert die unabhängige Organisation „journalists.network“, zu deren Gründern der Autor dieser Zeilen gehört, zusammen mit dem türkischen Presse- und Informationsamt Recherchereisen deutscher Journalisten in die Türkei. Nie haben die Beamten dieser Behörde Termine verhindert, die wir vorschlugen. Überwacht fühlten wir uns, anders als noch vor vier Jahren bei einer Reise ohne das Presseamt, nicht.

Umso überraschender die Ereignisse der diesjährigen Reise: Schon auf dem Flughafen von Diyarbakir in Südostanatolien wurden wir von „Beschützern“ empfangen. Ein netter Herr vom Presseamt, der uns begleitete, war darüber so perplex wie wir – doch die beiden „Beschützer“ waren trotz mühseliger Verhandlungen erst abzuschütteln, als keine Termine in dieser Stadt mehr anstanden. In der Region Gaziantep folgte ein Auto mit dem Schild „Koruma Ekibi“ (Schutzteam) unserem Bus Richtung syrische Grenze bei Akcakale. Zuvor hatte unser Begleiter vom Presseamt per Handy vergeblich versucht, diese Überwachung zu verhindern. Schließlich hatte das Presseamt den Besuch an der Grenze selbst organisiert. In Akcakale dann der Eklat: es gab einen Streit mit dem örtlichen Polizei- und Armeechef.

Etwa 15 Minuten diskutierten unser Reisebegleiter und wir mit dem Polizei- und Armeechef. Fünf Minuten ging es darum, ob man von einem „Verbot“ des Besuchs an der Grenze reden dürfe. Fünf weitere darum, ob man das Wort „Streit“ hier verwenden sollte. Der Rest des Gesprächs bestand darin, die Wogen zu glätten – doch der Besuch der Grenze blieb verboten. „Nichts ist verboten, es ist einfach nicht erlaubt“, erklärte der Armeechef, „was der Ministerpräsident sagt, interessiert mich nicht. Ohne den Befehl des Generalstabschefs lasse ich euch hier keinen Schritt weiter!“ Außerdem rief er „Welcome to Turkey!“ in unseren Bus. Unserem Begleiter vom Presseamt war das alles furchtbar peinlich.

Vollends zur Farce wurde die Überwachung in der Industriestadt Gaziantep. Das „Schutzteam“ folgte uns weiter. Nun aber hatte sich auch ein kumpelhafter Verkehrspolizist eingeschaltet. Er organisierte für uns ein Essen in einem Imbiss und machte uns, mit Blaulicht vorneweg, den Weg frei.

Die Türkei kann sich offenbar nicht entscheiden, ob sie ausländische Journalisten für Spione oder Staatsgäste hält.

taz-Redakteur Philipp Gessler ist Vorstandsmitglied von „journalists.network“ (www.journalists-network.org)