JOSEF WINKLER über ZEITSCHLEIFE
: Der Trend geht eindeutig zum Trend

In diesen schnelllebigen, schnelllebigen Zeiten verliert sogar der Zeitgeist höchstpersönlich manchmal den Überblick

Gegenüber in der S-Bahn sitzt ein Mann mit einem neuen, noch eingeschweißten, sprich: geshrinkwrappten Bügelbrett Marke Leifheit. „Season Colours … voll im Trend!“ steht auf dem Beipackzettel des mit buntem Stoff überzogenen Gerätes. Oh, bitte. Es müssen jetzt doch nicht auch noch die Bügelbretter trendy sein. Wo wir doch wissen, wie schnelllebig Trends sind. In diesen schnelllebigen Zeiten kann man ja nicht einmal sagen, wie lange man schnelllebig noch mit drei l schreiben wird. Kann morgen schon vorbei sein. Zum Beispiel, weil ich eine einsame Entscheidung treffe unnd beshließe, mih ab jez an ga keine rechdschreybun mer zu haln. ßo, ßo shnelebig.

Ich stelle mir den trendversessenen Hausmann vor, wie er in ein paar Monaten wie der volle Fool dasteht und seine allerneuesten Anti-Antiformhosen auf einem Brett bügeln muss, das sowas von last year ist. Nein, Bügelbretter sollten nicht „… voll im Trend!“, sondern zeitlos sein. Wobei ich – übertrüge man mir diese Macht – gar kein Problem damit hätte, etwa die „Season Colours“ den Niederungen des unsteten Trenddaseins zu entheben und ihnen Klassikerstatus zuzusprechen, wenn’s denn die Sache vereinfachen würde.

Auf alle Zeit für vorbei erklären würde ich parallel dazu hingegen diese „… total irre!“-Pünktchen, die mir seit langem ein Dorn im Auge sind. Kneipen sollen wieder – wenn schon – „Ohne Worte“ heißen und nicht „… ohne Worte“. Ähnlich verführe ich mit dem inflationären Augendorn „… und mehr!“ (auch: „und mehr …“), siehe: „Wellness … und mehr!“, „Backshop … und mehr!“

Ich ahne ja, was das „… und mehr!“ soll. Es spielt mit Geheimnis und Verheißung, es will uns umgarnen, verlocken, unsere Phantasie anregen bezüglich dieses „mehr“ jenseits des Gewöhnlichen, ja: Ich meine, es möchte uns ein wenig zum Träumen verführen. Gerade habe ich einen Online-Shop entdeckt, der „Socken … und mehr!“ anbietet. Ich wage keine Spekulation, welche exotischen Wunderdinge hier die Sinne zu betören harren.

Aber mir überträgt ja keiner Macht, sollen also die Leute weiterhin beschriften, wo der Trend hinfällt. Solange nicht irgendwelche Verwirrten auf den Trichter kommen, keine Ahnung, sagen wir mal: sich in Frakturschrift Dummes auf den Hosenboden zu schreiben.

Ich hab gelesen, dass es jetzt offiziell ein Freizeit-Trend ist, dem in öffentlichen Veranstaltungen ein Forum geboten wird, Filme nachzuerzählen. Leute, das kommt ein paar Jahre zu spät! Meine beste Zeit als Filmenacherzähler habe ich leider hinter mir. Aber was WAREN das für Zeiten. Damals – wir hatten ja nichts, schon gar kein gescheites Trendmarketing – lief das ja noch im kleinen Rahmen, ganz basic, ganz low-key lief das. Der Katzentisch in der Kneipe, die Stufen am Hinterausgang, wo die Musik nicht so laut war – das waren die Orte, an denen ich die leblosen Körper meiner ins Koma gequatschten Kunden zurückließ. Meine Nacherzählungen von „2001: Odyssee im Weltraum“ (in Echtzeit!) und „American Werewolf“ waren Tagesgespräch. So beliebt mithin, dass es damals hieß, Leute hätten sich an Winterabenden bei Tee und Keksen an Kaminen zusammengefunden, um sich gegenseitig meine Filmnacherzählungen nachzuerzählen (!). Gut, vielleicht war das auch gelogen. Oder ich hab’s mir nur ausgedacht, wer könnte das nach all den Jahren noch so genau sagen.

Ich weiß nicht, ob das jetzt zu weit führt oder ob es sogar schon mal ein Trend war, den ich nur verpasst habe: Aber ein Freund von mir kann – fragen Sie nicht, wie er das macht, der Mann ist ein Mirakel – Melodien nachrülpsen. Ganze Stücke. Auf Zuruf. Er erfüllt auch Wünsche. Ich habe ihn „Trick Me“ von Kelis und – nur zu Demonstrationszwecken, versteht sich – die Nationalhymne rülpsen hören. Es war eine recht exklusive Performance, weil alle anderen eilig den Raum verlassen hatten, denn nein: Hübsch hört sich das nicht an. Aber man muss ja hingehen, wo’s wehtut. Zum Beispiel in eine trendy Berliner Kellerkneipe zum 1. Friedrichshainer Aufstoß-Hootenanny!

Fragen zum Trend? kolumne@taz.de MORGEN: Kirsten Fuchs über KLEIDER