crime scene
: Die Rächer

Ein „neuer Forsyth“, das klingt viel versprechend, und eins ist auf jeden Fall klar: Frederick Forsyth beherrscht sein Handwerk wie kein anderer. Nach ein paar Seiten will man alles, aber auch wirklich alles über den Anwalt und freiberuflichen Kopfgeldjäger Carl Dexter wissen, der nach Feierabend diejenigen Verbrecher aufspürt, die durch die Maschen der US-Justiz geschlüpft sind. „Der Rächer“ wäre also ein perfekter Pageturner, würde der gebürtige Engländer Forsyth sich nicht als amerikanischer Musterschüler aufführen.

Sein letzter Roman ist geradezu eine patriotische Meisterleistung. In zahlreichen Rückblenden beschwört er den harten, aber ehrlichen Kampf der amerikanischen Soldaten im Zweiten Weltkrieg und in Vietnam, während der neue Terrorismus mit seinen Selbstmordanschlägen schon vor der Tür steht. Ausgerechnet, zwinker, zwinker, am 10. September 2001 tritt Dexter dann als last american hero zum Zweikampf mit einem serbischen Kriegsverbrecher an, der gute Kontakte zu al- Qaida unterhält. So gewinnt man zuletzt den unangenehmen Eindruck, dass Frederick Forsyth das Genre des politischen Thrillers, das er vor dreißig Jahren mit Büchern wie „Der Schakal“ oder „Die Akte Odessa“ begründet hat, mit „Der Rächer“ vorläufig zu Grabe trägt. Auch Forsyth gehört also zu den kalten Kriegern, die die terroristischen Bedrohungsszenarien und die neue sicherheitspolitische Unübersichtlichkeit unbedingt vor dem Hintergrund der konfliktstabilen Nachkriegszeit sehen wollen.

Der (west-)deutsche Regisseur und Drehbuchautor Bernhard Sinkel versucht sich in seinem Krimidebüt „Bluff“ dankenswerterweise gar nicht erst an so einer Konstruktion vermeintlicher Kontinuitäten zwischen Pearl Harbor und Ground Zero. Der Gedächtniskünstler Raoul Levkowitz trat als Kind in der DDR auf Varieté-Veranstaltungen auf, um dann aufgrund seiner Fähigkeiten von der Stasi in eine Kadettenanstalt gesteckt zu werden. Mit dem Ende seiner Ausbildung ist 1989 auch der Staat am Ende, der ihn in die Pflicht nehmen wollte. Zehn Jahre später macht Raoul sich auf die Suche nach seinem ehemaligen Führungsoffizier Kasunke, um Rache für ein zerstörtes Leben zu nehmen. Der ist gerade auf dem Weg in die USA, um sich bei der CIA nach einer unkomfortablen Zeit in Russland ein neues Leben zu kaufen. Sein Angebot: „Mehr als ein Dutzend der wichtigsten Schläfer und Maulwürfe in den Vereinigten Staaten“, eine Ergänzung zur berüchtigten Rosenholz-Datei also. Auch Raoul kennt die Namen, er musste einst nur einen Blick auf die Liste werfen, um sie sich sein Leben lang einzuprägen – und jetzt versucht er, Kasunke einem der letzten noch lebenden Maulwürfe in einem Nest namens Bluff, Utah als Verräter „vor die Flinte zu treiben“.

„Bluff“ ist ein überdurchschnittlich spannender Thriller. Er ist sauber recherchiert und relativ unaufdringlich mit der neueren und neuesten Geschichte verbunden, sodass sich das übliche Pathos vom Ende des Kalten Krieges in lakonischen Feststellungen wie der eines DDR-Agenten auflöst: „Wir waren die Besseren, aber wir haben das Endspiel verloren.“ Bemängeln könnte man einzig die Tatsache, dass Bernhard Sinkel, der Anfang der Siebziger das legendäre Spiegel-Archiv geleitet hat, auf allen Ebenen zu einer gewissen Perfektion neigt – und sich das an wenigen Stellen auf unfreiwillig komische Art im Stil bemerkbar macht. Wenn eine Frau, nachdem sie von Raoul geküsst worden ist, zunächst „schwankt“ und dann „geschickt mit einem sicheren Griff um ihre Taille“ von ihm aufgefangen wird, würde man das vermutlich selbst in einem James-Bond-Roman für etwas übertrieben halten. Der Vorteil eines gelungenen Thrillers aber ist, dass man über solche kleinen Ungeschicklichkeiten einfach hinwegliest. KOLJA MENSING

Frederick Forsyth: „Der Rächer“. Aus dem Englischen von Rainer Pfleiderer. C. Bertelsmann, München 2003. 377 Seiten, 21 Euro 90Bernhard Sinkel: „Bluff“, dtv premium, München 2003. 277 Seiten, 14 Euro 50