Welten und deren Didaktik

Zwischen Turnhalle und Diercke-Weltatlas: „Ozeanien“ als neue Dauerausstellung im Überseemuseums

Wo liegt Ozeanien? Zwischen einem kühn gespannten Flughafenglasdach und dem Boden einer frisch gewischten Turnhalle. Also in der völlig neu gestalteten Dauerausstellung des Bremer Überseemuseums.

Wo man früher in vielfachen Verwinkelungen den diversen Lebenswelten auf den Inseln des Pazifischen Ozeans (wie Hawaii, Polynesien, Australien und Neuseeland) nachspüren konnte, herrschen jetzt Licht und Weite. Statt der 56 vergilbten Lichtkuppeln à ein Quadratmeter überspannen nun 540 konkav gewölbte gläserne Quadratmeter den Lichthof. Man sieht durchaus, wofür die 1,6 Millonen Euro verbaut worden sind. 1,8 Millionen Euro hat die Überarbeitung der Ausstellung selbst gekostet.

Dort trifft man alte Bekannte wieder: Das große Auslegerboot mit dem löchrigen, aber weltweit einzig erhaltenen Segel, die beeindruckenden Tanzmasken oder den skelettierten Schädel des Leistenkrokodils, der bislang einsam im Schaumagazin vor sich hin grinste. Jetzt hat er einen Platz in der neuen Dauerausstellung ergattert, wo er für den Themenbereich „Leben am Fluss“ die Zähne fletscht.

SchülerInnen, immerhin ein Drittel aller BesucherInnen, werden sich im renovierten Haus schnell heimisch fühlen: Der bläuliche Kunststoffboden mit den aufgemalten Linien erinnert stark an eine Turnhalle, man könnte auch sagen: Er ist ein begehbarer Diercke-Weltatlas. Denn auf den zweiten Blick entpuppen sich die Bodenmarkierungen als die Höhenlinien des Meeresbodens – aus dessen Untiefen grasgrüne Themeninseln aufsteigen.

Dort geht es um Wirtschaft, Ethnologie und Naturkundliches, eine interdisziplinäre Mischung, auf deren europaweite Einzigartigkeit das Museum stolz ist. Konkret und sinnlich ausgedrückt: Man kann am 100 Jahre alten Nelkenboot schnuppern, kann Erzählungen von Südseeforschern und -bewohnerInnen lauschen oder sich per „Fischorgel“ von den absonderlichen Lauten ausgewählter Südseefische faszinieren lassen. Etwa dem rhythmischen Geklopfe des Knurrhahns: „Den kannte ich bisher auch nur aus dem Restaurant“, erzählt Museumsdirektorin Wiebke Ahrndt.

Die Transformation eines anderen alten Bekannten ist nebenan im nachgebauten Korallenriff zu entdecken: Dort schwimmt die Nachbildung des „dicken Heinrich“, ein seinerzeit bei den BesucherInnen sehr beliebter Zackenbarsch, der 1969 sein Ende durch Annagen der Aquariums-Filteranlage fand.

Auch das im Überseemuseum seit den 50ern beliebte Genre der Diorahmen (nachgestellte, in liebevoller Detailarbeit ausgestattete Szenen) hat eine gewisse Weiterentwicklung erfahren, weg von der naturimitierenden Figürlichkeit: Der tasmanische Tiger etwa ist vor einer fünffach geteilten Fototapete zu sehen, die seine unterschiedlichen Lebensräume andeutet.

Dann der Bruch: Am Übergang des Ozeanien-Lichthofes zum hinteren, noch unrenovierten Teil, wo Asien dargestellt ist, treffen sich derzeit zwei museumsdidaktische Welten. In der angestaubten, aber stimmungsvollen Aufmachung der späten 70er Jahre findet man explizit herausgestellte Themenkomplexe wie „Die ökologische Krise in Japan“. Prompt erinnert man sich an die groß angelegte „Entkolonialisierung“ des altehrwürdigen Handelsmuseums vor 25 Jahren, die zu einem dauerhaft „gespannten Verhältnis“ mit der Bremer Wirtschaft führte, wie sich der damalige Handelskammer-Präses Josef Hattig ausdrückte. Dafür zog das „Bremer Informationszentrum für Menschenrechte und Entwicklung“ ins Foyer des Museums.

Heute sagt Museumsdirektorin Ahrndt: „Wir haben uns erfolgreich bemüht, das Verhältnis zwischen Wirtschaft und Museum in normale Bahnen zu lenken. In Zukunft wird es keinen Gegensatz mehr geben.“

Was ohne Frage begrüßenswert ist, zumal die Gründung und Einrichtung des Hauses ein historisches Verdienst der hiesigen Kaufmannschaft ist. Aber sind in der Südsee nicht auch Themen wie die, gegen den Willen der BewohnerInnen stattfindenden, Atombombenversuche relevant? Oder das Absinken ganzer Inseln durch den Phosphatabbau? Korallensterben und andere eegative Begleiterscheinungen des Tourismus? Derartige Aspekte sind in der aktuellen Ausstellung nicht gänzlich ausgespart, aber in den Tiefen der per Computer abrufbaren Zusatztexte versteckt. Solche Thematiken auch optisch, anhand von Exponaten oder Installationen ins Bewusstsein zu rücken, sei sehr schwierig, sagt Ahrndt. Außerdem erreiche die „Didaktik des erhobenen Zeigefingers die Leute nicht mehr.“

Bis 2009 sollen auch die Bereiche Asien, Afrika und Amerika überarbeitet werden. Bis dahin aber werden die unterschiedlichen museumsdidaktischen Ansätze nebeneinander zu studieren sein.

Zurück im Foyer erwartet die BesucherInnen abermals eine andere Welt: die der Leere und des Übergangs. Seit der Trennung (im Streit) von Gastronomie-Pächter Ulrich Mickan ist das einstmals bunte und veranstaltungsbelebte Café Übersee geschlossen, Museums-Geschäftsführer Dieter Pleyn rechnet nicht vor dem Winter nächsten Jahres mit der Wiedereröffnung. Bis dahin soll der Eingangsbereich umgebaut werden. Der benachbarte Museumsshop hat eine Ausverkaufsfrist bis Ende des Jahres, anschließend soll er möglicherweise in das aufwändig ausgebaute aber immer noch sterile Untergeschoss verlegt werden. Henning Bleyl