Egalitärer Standard ganz ohne Kapital

Das Praktikum gilt als Eintrittskarte in den künftigen Job. Aber nicht alle können sich Arbeit ohne Honorar leisten

Studierenden schallt es aus vielen und immer gut unterrichteten Kreisen entgegen: Grau ist alle Theorie, ein Praktikum bringt Farbe und praktische Erfahrung ins Studentenleben. Was wohlgemeint so einfach klingt, lässt sich oft nur schwer umsetzen. Denn Studierende, die für ihren Unterhalt arbeiten müssen und nicht über Bafög, ein Stipendium oder die elterliche Versorgungskasse alimentiert werden, können sich ein unbezahltes Praktikum häufig finanziell nicht leisten.

„Schon in der ersten Woche an der Uni wurde uns immer wieder gesagt, wie wichtig Praktika für den weiteren Berufsweg sind“, blickt Christian Klank* auf sein erstes Semester als angehender Kommunikationswissenschaftler zurück. „Mir war klar, dass die Theorie, die im Studium vermittelt wird, für den Beruf später nicht ausreichen wird“, sagt der Berliner, der an der Freien Universität (FU) kürzlich seinen Abschluss gemacht hat.

Sein erstes vierwöchiges Praktikum absolviert der heute 28-Jährige in einer Berliner Onlineredaktion. Geld gibt es keines, dafür aber jede Menge Arbeit: Der Arbeitstag beginnt um 8 Uhr morgens los und endet nicht vor 18 Uhr. Meldungen müssen verfasst, Berichte geschrieben werden. Zwar hat Klank in der Redaktion „viel gelernt“, doch finanziell stößt er schnell an seine Grenzen: „Mein Studium habe ich finanziert, indem ich in den Semesterferien gearbeitet habe – da fallen vier Wochen Praktikum ohne Verdienst kräftig ins Gewicht.“

Ein Blick in die Praktikumsbörsen von Zeitungen oder Internetplattformen zeigt, wie ernst die Lage für Praktikanten unter finanziellen Gesichtspunkten ist: Die Rubrik Honorar wird von einem freundlichen „leider keins“ dominiert. Mit einem Entgelt von 100 Euro im Monat gehören viele Praktikanten schon zu den Besserverdienenden in der Honorar sparenden Praktikumsgesellschaft.

Geradezu egalitär durchzieht die Nichtbezahlung alle Branchen: das Agenturgeschäft, die Sozialarbeit oder den Kulturbereich. Kein Geld ist Standard.

Erfahrungen mit schlecht bezahlten Praktika hat auch Ruth Schal* reichlich sammeln können: In verschiedenen Werbe- und Grafikagenturen in verschiedenen Bundesländern hat die Mediengestalterin bisher Praktika absolviert. Als „zwiespältig“ beschreibt die 33-Jährige Ihre Erfahrungen: „Kopieren, Kaffee kochen, Konzeptionen entwickeln“, die Tätigkeiten von Praktikanten seien vielfältig.

Viele Agenturen würden heute keine Auszubildenden mehr einstellen, sondern auf Praktikanten zurückgreifen, vermutet Ruth Schal. Denn diese seien „hoch motiviert, billiger und schneller wieder zu entlassen als teure Auszubildende, die dann auch noch zur Berufsschule müssen“.

Obwohl die Mediengestalterin seit einem halben Jahr als Selbstständige ihr Geld verdient, hat sie sich gerade erfolgreich um eine Praktikumsstelle beworben. Immerhin 250 Euro zuzüglich Fahrgeld zahlt eine renommierte Werbeagentur der Praktikantin de luxe. Weil das zum Leben Geld nicht reicht, greift die Mediengestalterin auf Erspartes zurück: „Ich habe die Agentur von sechs auf vier Monate runtergehandelt, mehr konnte ich mir finanziell nicht leisten.“ Das Praktikum begreift die Wahlberlinerin als Investition in die Zukunft: „Ich bin sicher, dass ich viel lernen werde, aber vor allem auch Leute kennen lerne und Kontakte knüpfen kann.“

„Praktika während des Studiums sind extrem wichtig für die berufliche Zukunft“, weiß Heike Kuß vom Hochschulteam des Arbeitsamts in Berlin-Mitte. Für Studenten sei das die einzige Möglichkeit, Berufserfahrung zu sammeln. Entscheider aus den Personalabteilungen von Unternehmen würden häufig wesentlich mehr Wert auf praktische Erfahrungen legen, als auf belegte Wochenstunden an der Uni. Gerade im Raum Berlin seien anständig bezahlte Praktika die Ausnahme: „Wir beobachten mit Sorge, dass es in vielen Branchen zur Regel wird, Praktikanten kein Geld zu bezahlen“, sagt die Arbeitsberaterin.

Studenten, die an einem bezahlten Praktikum interessiert seien, sollten sich eher im süddeutschen Raum umschauen, rät Kuß. Denn damit signalisieren Studenten schon während des Studiums, „dass sie überregional mobil sind“. Außerdem sollten Praktikanten bei der Bewerbung „selbstsicher über die eigene Person und deren Wert“ verhandeln: „Viele Studenten fragen nicht einmal nach, ob es eine Bezahlung gibt.“ VOLKER ENGELS

* Namen von der Redaktion geändert