Das Studium in weiter Ferne

Die Gebühren für staatliche Fernlehrgänge werden 2004 bundesweit drastisch erhöht. Berlin hat noch größere Probleme: Angesichts der beschlossenen Kürzungen wird im kommenden Jahr voraussichtlich das letzte Fernstudienzentrum geschlossen. Die Qualität der Fernstudien steht auf dem Spiel

von OLIVER VOSS

Mehr als 300.000 Menschen nutzen hierzulande jährlich die Angebote der rund 1.800 staatlich zugelassenen Fernstudiengänge. In den Niederlanden sind es sogar doppelt so viele Teilnehmer. Doch statt aufzuholen, dürfte sich sich die Situation in Deutschland künftig noch verschlechtern. „Drastische Gebührenerhöhungen für die staatliche Zertifizierung von Fernlehrgängen werden den Bildungsstandort Deutschland im internationalen Vergleich weiter zurückwerfen“, fürchtet der Deutsche Fernschulverband (DFV).

Denn das zuständige Ministerium des Landes Nordrhein-Westfalen, wo mit der Fernuniversität Hagen der einzige staatliche Anbieter dieser Art im deutschsprachigen Raum ansässig ist, plant zum 1. Januar eine Anhebung der bundesweit geltenden Fernunterrichtsgebühren um satte 300 Prozent. Eine erste Stufe der Erhöhung erfolgte bereits im Juni. Dies gilt für die Gebühren zur Erstzulassung von staatlich geprüften Lehrgängen und für die regelmäßigen Kontrollen im Anschluss. Betroffen sind somit die Anbieter, denn die Kursbeiträge der Teilnehmer dürfen während der Vertragslaufzeit nicht erhöht werden.

Die Probleme sieht der DFV vor allem für kleine Anbieter und fürchtet Einschränkungen bei der Angebotsvielfalt und der Entwicklung neuer Kurse. „Wir fürchten außerdem, dass sich Anbieter künftig um die Qualitätskontrollen herumschummeln“, sagt DFV-Sprecherin Dörte Giebel. Wenn die Anbieter den Fernlernanteil unter 50 Prozent absenken, fallen sie nicht unter die Kontrollpflicht. „Es kann sein, dass einige künftig auf das staatliche Siegel verzichten“, befürchtet Giebel.

Andere Probleme gibt es für Teilnehmer an Fernstudiengängen in Berlin. Das Fernstudienzentrum der FU wurde zum 30. September geschlossen. Dort wurden Berliner Studierende der Fernuniversität Hagen betreut. Nun gehen viele der Teilnehmer zum Fernstudienzentrum der HU, um an Mentorenprogrammen teilzunehmen oder Klausuren zu schreiben. Doch auch dort ist das Ende bereits beschlossene Sache. „Wir werden zum 30. September 2004 aufhören“, sagt Joachim Baeckmann, Leiter der HU-Abteilung Studierendenangelegenheiten. Bei der Berliner Haushaltslage und den beschlossenen Hochschulkürzungen „ist klar, dass das Randgeschäft wegfällt“.

Die Betroffenen reagieren indes überraschend gelassen: „Die meisten Studierenden haben den Ernst der Lage noch nicht erkannt“, sagt Jacqueline Woiton vom HU-Studienzentrum. Dabei haben sich die Studienbedingungen schon drastisch verschlechtert. Vor drei Jahren kamen 900 Personen an das Fernstudienzentrum der HU, heute sind es doppelt so viele. „Eine mentorielle Betreuung vor Ort ist eigentlich fast nicht mehr möglich“, so Woiton. Künftig müssen die Teilnehmer zum Klausurenschreiben möglicherweise nach Bremen oder Schwäbisch Gmünd. „In der Nachbarschaft haben wir ein kleines Studienzentrum an der Viadrina, ein überfülltes in Rostock und ein gut ausgelastetes in Leipzig“, erklärt Joachim Baeckmann. Von Studierendenseite gibt es ein paar Unterschriftenlisten und einen Protestbrief an den Bundespräsidenten. Johannes Rau, der Gründervater der Fernuni Hagen, teilte mit, dass er auch nichts tun könne.

In Hagen hofft man noch auf ein Wunder, um den Standort für die 2.500 Berliner zu erhalten. Noch wartet Helmut Hoyer, Rektor der Fernuni Hagen, auf die Antwort auf eine Anfrage an den Wissenschaftssenator Flierl. „Der Wissenschaftsstandort Berlin kann dieses gute Angebot für relativ wenig Geld haben“, sagt die Sprecherin der Fernuni, Susanne Bossemyer, „alle reden vom lebenslangen Lernen, also muss es auch die Möglichkeit geben, das wahrzunehmen.“

Erschwert wird das lebenslange Lernen bald zudem noch durch anfallende Studiengebühren. In Nordrhein-Westfalen gilt ab nächstem Jahr das Studienkontenmodell. Für ein Zweitstudium und all diejenigen, die die Regelstudienzeit um das Anderthalbfache überschreiten, gelten dann Gebühren von bis zu 650 Euro pro Semester. Da alle Studenten der Fernuni Hagen unter die gesetzlichen Regelungen Nordrhein-Westfalens fallen, sind sie davon automatisch betroffen. Viele gelten dabei als Teilzeitstudierende und müssen im Semester 325 Euro für Aufbau- und Zweitstudiengänge zahlen. Auch der große Vorteil des Fernlernens für viele Berufstätige, sich Zeit und Lerntempo flexibel einteilen zu können, schwindet mit den Gebühren bei Überschreitung der Regelstudienzeit. „Bei uns sagen viele, sie können sich ein Studium dann nicht mehr leisten“, sagt Woiton vom HU-Studienzentrum, „ich glaube, dass viele Studenten abspringen werden.“