Schlange lobt Kaninchen

Nach der noch glimpflich ausgefallenen 0:4-Niederlage im Uefa-Cup-Rückspiel beim FC Sochaux und dem Ausscheiden aus dem Wettbewerb stößt Borussia Dortmund beim Sieger auf viel Verständnis.

AUS SOCHAUX CHRISTOPH RUF

Bei der Pressekonferenz meinten es alle gut mit Matthias Sammer. Sekundenlang schien niemand eine Frage an ihn zu haben, was den grüblerischen Trainer zu galgenhumoresker Ironie animierte: „Sie sind sehr höflich zu mir.“ Das war kurz zuvor auch der siegreiche Trainer Guy Lacombe gewesen, der nicht mit Respektbezeugungen vor dem Gegner sparte. Es sei eben einfach alles nach einem „optimalen Szenario“ verlaufen gegen die „große“ Borussia: „Erst das Hinspiel und dann eine rote Karte gleich zu Beginn. Glauben Sie mir, mit elf gegen elf wäre das Spiel anders gelaufen.“

Das sah auch Sammer so, der nun doch um einen Kommentar gebeten wurde: „Wir sind an einer guten Mannschaft gescheitert, aber primär an unseren eigenen Problemen.“ Als da wären: „Ganz einfach: 13 Verletzte.“ Die habe man zwischenzeitlich zu beklagen gehabt, heuer derer noch acht, „und zwar nicht die Nummer 15 bis 20, sondern eher die Spieler eins bis zehn“. So viel zu den Problemen. Ein skeptischer Blick in die Runde: „Natürlich erklärt das nicht, warum wir nach dem 2:0 dann noch 4:0 verloren haben.“

Dass beim BVB an diesem dauerberieselten Abend alles im Argen liegen würde, was ein Fußballspiel ansehnlich und im Idealfall erfolgreich machen kann, war bereits früh zu erkennen. Nach dem Elfmetertor durch Nationalspieler Pierre-Alain Frau (6.) – Salvatore Gambino musste an seinem 20. Geburtstag sehr früh wegen der in dieser Situation begangenen Notbremse vom Feld – dominierten die Ostfranzosen das Spiel nach Belieben. Immer wieder erspielten sie sich Überzahlsituationen, die sie zunächst allerdings zuverlässig vertändelten. So düpierte der famose Brasilianer Santos in der 35. Minute all das, was von der BVB-Verteidigung noch ein Lebenszeichen abgab, und hob den Ball über die Latte ins Aus. Keeper Roman Weidenfeller hatte auf der Linie als Kaninchen vor der Schlange fungiert, was Stefan Reuter zu lautstarken Verwünschungen animierte. Eine halbe Stunde später lief Santos halbherzig flankiert erneut Richtung Strafraum auf Weidenfeller zu. Da der unglückselige Torwart dieses mal fatalerweise herauslief, stand es 2:0 (67.). Bedenklich auch, wie passiv gestandene – und unverletzte – Spieler wie Sebastian Kehl oder Ewerthon auftraten und welche Stockfehler Flavio Conceiçao und Christian Wörns unterliefen. Zumal Jan Koller auf verlorenem Posten abgestellt wurde und auch deshalb so oft auf die Knochen bekam, weil er weit und breit der einzige war, der sich überhaupt bewegte. Als eine Viertelstunde vor Schluss mit Thomas Rosicky der einzige Borusse ausgewechselt wurde, der hin und wieder Ideen nach vorn entwickelte, interpretierte das Sochaux zu Recht als Kapitulation, die es durch ein wunderschönes (Wilson Oruma, 75.) und ein für die BVB-Defensive blamables (Jérémy Mathieu, 90.) Tor ahndete.

Nach dem Schlusspfiff trottete eine Handvoll BVB-Spieler reumütig gen Zaun, wo sie von etwa 1.000 schicksalsergebenen Getreuen mit mattem Applaus bedacht wurden. Unterdessen produzierte sich ein etwas hysterischer Stadionsprecher („Merci, merci, vous êtes super“) beim Verlesen der Zuschauerzahl, und der Teil der 18.584 Zahlenden mit FCS-Sympathien begann ein Hupkonzert, das so mancher Arbeiter in der ortsansässigen Fabrik jahrzehntelang herbeigesehnt haben mag.

Schließlich war der 1928 vom Peugeot-Konzern zur Zerstreuung der Belegschaft gegründete Club, der als erste französische Mannschaft das Profitum einführte, lange genug in den Tiefen der zweiten Liga verschwunden, ehe vor zwei Jahren der Wiederaufstieg gelang. Und obwohl im Sommer 2000 ein mit Firmengeldern gebautes hochmodernes Stadion fertiggestellt wurde, kam in Sochaux niemand auf die Idee, das Renommierobjekt etwa „Peugeot-Arena“ zu taufen. Im „Stade Bonal“ – benannt nach dem deportierten und ermordeten Antifaschisten Auguste Bonal – hält man noch heute die proletarische Tradition des Vereins in Ehren, dem das Hitler-freundliche Vichy-Regime in den Vierzigern die Teilnahme an der Regionalauswahl wegen erwiesener Illoyalität verwehrte. Nun reifen die Früchte einer Aufbauarbeit, die bereits 1974 mit dem Bau eines Nachwuchszentrums begann: Das Gros der Leistungsträger stammt aus der eigenen Jugend und setzt sich wieder höhere Ziele.

Ob der FC Sochaux mittlerweile grand geworden sei, wurde der in Sochaux aufgewachsene Mannschaftskapitän Benoît Pedretti nach dem Schlusspfiff noch gefragt: „Groß? Ach, das weiß ich nicht. Wir spielen jetzt gegen Auxerre und Montpellier, danach wissen wir mehr.“ Ein kurzer Moment des Innehaltens: „Damit wollte ich natürlich nichts gegen Dortmund gesagt haben.“