Niemand soll das lesen

Das Echo auf die taz-Aktion zum Missbrauch der Autorisierung zeigt: Politiker wollen Interviews nicht aus kosmetischen Gründen retuschieren, sondern aus politischen – sie stehen nicht zu ihrem Wort

VON PATRIK SCHWARZ

Es geht nicht um Schönheit, es geht um Politik. Am Tag nach der ersten bundesweiten Medienaktion gegen den Missbrauch bei der „Autorisierung“ von Interviews gibt es ein Fazit: Wenn Politiker der Presse die Veröffentlichung ihrer bereits gegebenen Antworten verbieten wollen, dann nicht aus Unzufriedenheit mit Stil oder Satzbau in der Niederschrift. Das vorherrschende Motiv ist politisch, die Betroffenen wollen ihre Aussagen nicht – oder nicht so – in der Öffentlichkeit wiederfinden, wie sie sie gemacht haben. Das zeigt der Fall Olaf Scholz, mit dem die taz die Aktion auslöste, genauso wie die Beispiele in den acht anderen Tageszeitungen, die sich in ihren Freitagausgaben beteiligten.

SPD-Generalsekretär Scholz hatte die Freigabe eines taz-Interviews vom SPD-Parteitag vorige Woche verweigert, weil der Interviewer zu kritisch fragte: Die wiederholte Nachfrage zu Ursachen und Folgen von Scholz’ schlechtem Wahlergebnis passte nicht ins rosige Bild, das die SPD-Spindoktoren vom Parteitag malen wollten. Obwohl Scholz alle Fragen beantwortete, versuchte seine Pressestelle den anschließenden Abdruck zu unterbinden. Aus Protest machte die taz den Fall gestern öffentlich.

Der Sozialdemokrat Scholz befindet sich in einer großen Runde prominenter Sünder: So verweist etwa die Frankfurter Rundschau am Freitag aus eigener Erfahrung auf Ärger mit den früheren SPD-Ministern Däubler-Gmelin und Scharping. Bei Gesprächen mit Finanzminister Eichel und FDP-Chef Westerwelle sei „die Interviewsituation derart aufgeheizt“ gewesen, dass am Ende keine Zeile in der Zeitung stand. Die Financial Times Deutschland (FTD) illustrierte ihre Seite zum Thema mit Faksimiles von umfänglichen handschriftlichen Änderungen an Interviews mit CSU-Chef Stoiber und Gesundheitsministerin Ulla Schmidt. Ein besonderer Sünder schien der einstige SPD-Chef Lafontaine zu sein – von ihm berichten gleich drei Zeitungen, er habe Antworten bis zur Unkenntlichkeit verändert. Während die FTD Kanzler Schröder und Joschka Fischer ausdrücklich Fairness im Umgang bescheinigt, hat die Berliner Zeitung mit dem Grünen-Politiker negative Erfahrungen gemacht: „Wenn dem Außenminister der Text im Zustand schlechter Laune und großer Termindichte vorgelegt wird, kann es sein, dass er nicht mehr zufrieden ist mit dem, was er gesagt hat. Autorisierung ausgeschlossen. Hätte man nicht jenes Thema und den anderen Schwerpunkt wählen können, fragt sein Sprecher.“

Deutlich wird durch das breite Presseecho: Zwar gewähren derzeit alle Zeitungen Interviewpartnern das Recht auf Autorisierung – aber ebenso einhellig werfen die Redaktionen Politikern zunehmenden Missbrauch vor.

Doch wo beginnt der Missbrauch? So breit die Grauzone ist, wie viele Journalisten in ihren Beiträgen einräumten, so klar sind zwei Grenzen, die die Politik – eigentlich – nicht überqueren darf: Kein Gesprächspartner darf den politischen Inhalt einer Aussage verdrehen oder die Fragen zensieren. Der Fall Olaf Scholz stellt in diesem Sinne eine typische Grenzüberschreitung dar: Nicht nur über die Antworten wollte die Partei verfügen, sondern auch noch über die Fragen von taz-Korrespondent Jens König, die als „zu pfeffrig“ empfunden wurden.

Welche Chance auf Gegenwehr bleibt der Presse? Zunächst einmal hat die konzertierte Aktion von neun deutschen Tageszeitungen als Warnschuss für Politiker wie deren PR-Profis gewirkt. Im offiziellen Pressespiegel des Bundespresseamtes nimmt das Thema die Topposition ein, Regierungssprecher Béla Anda sah sich genötigt, von einer „sinnvollen Debatte“ zu sprechen. Was bisher fehlt, ist eine Verständigung der Presse untereinander auf klare Standards. Aber die Debatte hat ja erst begonnen.