Trainingsjacke, Tränen, Truthahn

Als gute PR-Aktion findet Präsident Bushs Kurztrip nach Bagdad bei der Konkurrenz Anerkennung – doch die aggressiven Fragen der Öffentlichkeit zur verfehlten Irakpolitik bleiben weiter offen. Zu Hause versucht Bush, allem Unangenehmen auszuweichen

AUS WASHINGTON MICHAEL STRECK

Mit dem Blitzbesuch von US-Präsident George W. Bush in Bagdad ist dem Weißen Haus ein Überraschungscoup gelungen. Selbst die härtesten Bush-Gegner zollten seinen Kommunikationsstrategen Respekt und attestierten ihnen einen gelungenen Schachzug. Die streng geheime Kommandoaktion am wichtigen amerikanischen Familienfest „Thanksgiving“ stahl außerdem Hillary Clinton die Show, die gestern in der irakischen Hauptstadt erwartet wurde und von dort zum Großangriff auf die Bush-Regierung blasen wollte.

Die Demokraten an den Festtafeln daheim rangen, überrumpelt von den Ereignissen, mit einer angemessenen Reaktion. Sie mussten den Balanceakt schaffen zwischen Lob und Kritik. „Der Besuch war richtig. Ich hoffe jedoch, der Präsident wird nach Thanksgiving seine verfehlte Irakpolitik korrigieren“, ließ Präsidentschaftskandidat John Kerry erklären.

Bushs Auftritt – mit Trainingsjacke, Tränen und Truthahn – kontrastiert jenes Image, das ihm bislang zum Fallstrick geworden ist: die heldenhaft inszenierte Landung im Mai auf dem Flugzeugträger, wo er voreilig „Mission erledigt“ verkündete und die seither von den Demokraten im laufenden Präsidentschaftswahlkampf zu jeder Gelegenheit ausgeschlachtet wird.

Die zweistündigte Stippvisite dient daher dem Zweck, die mediale und öffentliche Lufthoheit über die Irakpolitik zurückzugewinnen. Eine immer aggressivere Presse konfrontiert Bush seit Wochen mit quälenden Fragen. Die Opposition lässt kein gutes Haar an seinen Nachkriegsplänen und hat sich seine Außenpolitik als wichtigstes Angriffsfeld vorgenommen. Und in der Öffentlichkeit bröckelt die Unterstützung für die opferreiche und teure Besatzung Iraks.

Doch es sind nicht nur die Fehler in der Irakpolitik selbst, die Bush immer mehr in die Enge getrieben haben, sondern auch sein Umgang mit den Opfern. Anders als seine Vorgänger hat er bislang keine öffentlichen Trauerfeiern besucht. Er zieht es vor, hinterbliebenen Angehörigen persönliche Beileidsbriefe zu schicken und sie gelegentlich privat zu treffen. In Reden weicht er konsequent der blutigen Realität im Irak aus. Bilder von eintreffenden Särgen sind nicht erlaubt. Kritiker sehen darin den Versuch, die Toten möglichst aus dem öffentlichen Bewusstsein herauszuhalten und den Krieg zu entemotionalisieren.

Der Bagdad-Trip hat jedoch gezeigt, dass die US-Regierung nicht taub ist gegenüber der gefährlichen Situation im Irak und der Kritik zu Hause. Der Nacht-und-Nebel-Ausflug könnte als Versicherung angesehen werden, sich nicht aus der Verantwortung zu stehlen, obwohl sich die Anzeichen in Washington mehren, das man angestrengt nach einem Ausweg sucht, der Bush das Gesicht wahren lässt. Es ist zu früh, um die Langzeitfolgen dieses Husarenstücks abzuschätzen.

Wie auch immer der Besuch von Bushs Gegnern und Befürwortern interpretiert wird – ob die Iraker den heimlichen Auftritt in ähnlich positivem Licht wie die Amerikaner sehen, darf bezweifelt werden –, er bindet einmal mehr sein persönliches Schicksal an Versagen oder Erfolg im Irak. „Er erhöht den Einsatz“, sagte ein prominienter Republikaner.

Nun sind solche Auftritte von Präsidenten bei der Truppe in Kriegsgebieten nichts wirklich Neues. Bill Clinton flog Thanksgiving 1999 ins Kosovo. Richard Nixon reiste nach Vietnam. Auch sein Vorgänger Lyndon B. Johnson besuchte dort 1967 GIs zu Weihnachten. Er verlor später die Unterstützung für den Vietnamkrieg und verzichtete schließlich auf eine erneute Präsidentschaft.

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