Das Treffen einer mächtig gewesenen Klasse

Hofbericht erstatten? Von der großen Jubiläumssause dieser Zeitung schreiben? Ungern. Nur so viel: Wolfgang Niedecken habe ich einmal dabei zusehen müssen, wie er vor versammelter Mannschaft einen jungen Techniker zusammenstauchte, weil sein Teleprompter nicht richtig funktionierte. Das war vor einem Konzert vor ungefähr zwölf Jahren in Koblenz. Ob Niedecken seine Texte inzwischen auswendig kann, weiß ich nicht, das Solokonzert bei der tazgala am Freitag habe ich mir wohlweislich gespart.

Verpasst habe ich Jacques Palminger, der gewohnt lustig bis mittelprächtig gewesen sein soll, goutiert habe ich einen Teil der anschließenden Party im Café Global. Der auch für diesen Artikel zuständige Redakteur legte anständigen Popquatsch auf. Es gab Nummern, auf die ich zuletzt auf meiner Abiturfeier tanzte (Multicoloured Shades: Teen Sex Transfusion, Les Rita Mitsuoko: C’est comme ça), der großen Mehrheit schien es zu gefallen. Man tanzte. Die Veranstaltung hatte den Charme eines Klassentreffens einer mächtig gewesenen Klasse. Aber vielleicht war ich auch einfach nicht in Form, ich war nur kurz da.

Zum Teil war ich auch draußen, bei reizenden Damen, die vor dem Backstagebereich rumsaßen, weil da auch die Prominenz rumhing und man im Café Global nicht rauchen durfte. Die Prominenz bestand aus Palminger und einem Bandkollegen, der mit einer Miniroboterquäkkiste elektronische Geräusche machte. Auch Sascha Lobo war da, die Frisur ist echt und hielt, und ich habe tatsächlich dreimal über seine Scherze gelacht.

Auf der Oranienstraße mitbekommener Dialog, Freitagnachmittag. Rollstuhlfahrer: „Hey du, kannst du mich mal ein Stück schieben, ich bin total fertig gerade.“ Passant: „Ey Alter, ich hab keine Zeit. Lern laufen.“

Nach der Party im Haus der Kulturen der Welt fuhr ich auf ein Bild, nein Bier, in die Lieblingsbar am Zionskirchplatz, wo eine alte Freundin aus Kölner Zeiten wartete. Aus dem einen Bier wurden drei plus zwei Stücke Käsekuchen. Die Freundin hatte eine Arbeitskollegin dabei, die nebenher Schauspielerin war. Sie trug einen Ring am linken Ringfinger, verheiratet war sie aber nicht.

Um ungefähr fünf Uhr morgens kam ich zu Hause an. Die immer pünktlich kommende Zeitung war noch nicht da. Sie kam den ganzen Tag nicht. Ausgerechnet die erste Ausgabe der neuen Ära, die neu gestaltete taz vom Wochenende, bunt und gelungen, kam bei mir nicht an. Seltsam.

Auf einer Veranstaltung im plüschigen Johann Rose in Kreuzberg am Samstag mahnte dann eine Frau an, dass Untiefen eben keine großen Tiefen seien, sondern eher flache Gewässer. Der Wahrig meldet, dass eine Untiefe eine seichte Stelle bezeichnet, sogar eine Sandbank. Aber eben auch, wenn auch nur umgangssprachlich, eine große Tiefe. Freunde mit Migrationshintergrund suchten dann das deutsche Wort Pfütze und umschrieben es mit „Wasserflecken auf der Straße“. Die Untiefen der deutschen Sprache.

Abschließend sei noch ein Tipp für Liebhaber des eher kleinen Etablissements gegeben. In der Lübbener Straße findet sich ein Laden, der von Exilrussen betrieben wird und Kvartira 62 heißt. Nett und plüschig. Vor dem dort stattgefunden habenden Rockabilly-Konzert – irgendwie tauchten an diesem Wochenende überall Menschen mit Gitarrenkoffern und anderem musikalischen Rüstzug auf, immerhin hatten sie keinen Teleprompter dabei – traten wir aber doch die Flucht an. RENÉ HAMANN