So lässt man sich die Prenzlbergisierung gefallen

Kirsten Reinhardts Gastrokritik: Das neue Café „Auf der Suche“ bringt den Wedding voran

Scheint ein echter Hafen zu sein, dieses Café. Der Tenor im Gästebuch: „Endlich!“

Das „Nur für Mitglieder“-Lokal Brüsseler Ecke Genter Straße hat dichtgemacht. Das war das mit den hingesprayten Nackt-Ladies an der Wand. Selbstverständlich wurde das optimistisch-bange Hoffen „Bitte lass hier einmal ein nettes Café aufmachen!“ dann aber bitter enttäuscht: Wieder bloß ein Wettbüro. Frustriert dreht man eine Runde. Einkauf auf dem Ökomarkt am Leopoldplatz, ein Schokoladencrêpe muss her.

Doch was ist das? Ein paar Meter neben dem formidablen Koreahaus stehen Tische auf dem Trottoir der Nazarethkirchstraße. Ein neues Café! Direkt gegenüber der hoch in den Weddinger Himmel ragenden Backsteinkirche und den frisch ergrünten japanischen Schnurbäumen. Hinein!

„Auf der Suche nach dem verlorenen Glück“ heißt das im März eröffnete Etablissement nicht eben unprätentiös. Aber irgendwie darf es das, denn das Café ist eine echte Herzensangelegenheit. Betreiberin, Köchin, Kuchenbäckerin und Thekendame in einer Person ist Christina. Die wohnt seit Jahren im Haus und hat die ehemalige Zockerkneipe radikalrenoviert, die zuvor in diesen Räumen residierte. Ihre Freunde hätten sie für verrückt gehalten, erzählt sie, so versifft sei der Laden gewesen.

Davon ist nichts mehr zu spüren. Viel Holz, ein toller Blick durchs große Fenster auf Kirche und Frühlingsblütenpracht, ein Kühlschrank voll Tannenzäpfle-Bier, Bionade, Club-Mate und so weiter. Und auf der Theke hausgemachte Kuchen. Eine gerahmte Audrey Hepburn wacht über der Bar, nebst dem ersten selbst verdienten Fünf-Euro-Schein. Und im Zeitschriftenkorb liegt alles, für den heimlichen Trash-Genuss: Gala, Cosmopolitan, Spiegel.

Zu Essen gibt es Frühstück, Rühreier, Suppen, Salate und Kuchen. Eben so viel, dass man weiß: Das ist alles frisch hinzukriegen. Und so ist der Salat „Reibereien“ auch knackig und gut gemischt aus Eisberg, Rucola und Radiccio, mit frisch geriebenem Käse darüber; dazu eine perfekte Vinaigrette. Die Linsensuppe ist klar, mit einem Schuss Essig drin. Der Kaffee danach ist so, wie ein guter Kaffee zu sein hat. Der Brownie angenehm selbst gemacht und keine US-Backmischung. Und der Zitronenkuchen saftig-sauer.

Nach dem Essen kann man dann müde in die Sonne blinzeln und den Weg zum Leopoldplatz beobachten. Türkische Jugendliche, ein paar langhaarige Männer mit 80er-Jahre-Jeanskluft und verblichenen Tätowierungen gehen vorbei. Immer wieder kommen Anwohner und wechseln ein paar Worte mit Christina, die auf eine Zigarette vor die Tür geht. Scheint ein echter Hafen zu sein, dieses Café. Sehr persönlich und herzlich. Das zeigt auch ein Blick ins Gästebuch. Tenor: „Endlich!“

Neulich, bei einer Versammlung der Bürgerinitiative im Brüsseler Kiez, wurde ja die Sorge vor einer „Prenzlbergisierung“ der Gegend laut. Aber mal im Ernst: So kann der Wedding niemals werden. Selbst wenn er ein wunderbares Café hat, in dem man weder Pferdewetten abschließen darf, noch rauchen.

AUF DER SUCHE NACH DEM VERLORENEN GLÜCK, Nazarethkirchstr. 43, geöffnet Mo–Fr 9–22 Uhr, Sa 10–23 Uhr, So 10–22 Uhr, U6/U9/div. Busse Leopoldplatz, Kuchen 1,70–2,20 €, Tannenzäpfle 2,40 €, Latte 2,20 €, Suppen 3,30 €

AUSGEHTIPPS

Zuletzt von der taz besprochen: HAMY, Hasenheide 10, vietnamesisches Restaurant. Natalie Tenberg: „Gut und unkompliziert.“ CAFÉ NERO, Fasanenstr. 88, in der VW-Bibliothek. Natalie Tenberg: „Zierde für das Kantinenwesen.“ CHARLOTTCHEN, Droysenstr. 1, Natalie Tenberg: „Café, in dem man sich mit Kindern wohlfühlt.“