Gemeinsam gegen Pisa-Frust

Das Dortmunder Institut für Schulentwicklungsforschung fordert in einer jetzt vorgestellten Studie die kontinuierliche Umwandlung des dreigliedrigen Schulsystems in eine Gemeinschaftsschule

Das Gerede von der Durchlässigkeit des Systems ist ein Euphemismus

VON ULLA JASPER

Wenige Monate vor der Landtagswahl erhält die bislang von Schulministerin Ute Schäfer (SPD) unterdrückte Diskussion um eine grundlegende Reform des nordrhein-westfälischen Schulsystems neue Nahrung. In einer jetzt vorgestellten Studie plädiert der Dortmunder Bildungsforscher Ernst Rösner vom Institut für Schulentwicklungsforschung (IFS) dafür, innerhalb von zehn Jahren das dreigliedrige Schulsystem zu Gunsten von Gemeinschaftsschulen abzuschaffen.

„Nach den Pisa-Ergebnissen und den Vergleichen mit Schulen im Ausland wissen wir, dass leistungsgemischte Gruppen für das Lernverhalten der Schüler positiv sind“, so Rösner. Er widerspricht damit Befürwortern des dreigliedrigen Systems, die argumentieren, dass eine frühzeitige Zuordnung zu einem der drei Schultypen eine bessere und leistungsgerechtere Förderung der Kinder gewährleiste. Zudem, so Rösner, fehle es im traditionellen dreigliedrigen System an Gerechtigkeit und Durchlässigkeit, zu früh würde dadurch über den weiteren Bildungsweg der Kinder entschieden: „Das Gerede von der Durchlässigkeit des Systems ist doch nur ein Euphemismus.“ In Wirklichkeit handele es sich dabei oft nur um die Möglichkeit zum Abstieg.

Rösners Konzept sieht deshalb vor, die bisher bestehenden Schulformen Hauptschule, Realschule und Gymnasium miteinander zu verschmelzen und in eine alle Schüler aufnehmende Gemeinschaftsschule umzuwandeln. Eine Differenzierung nach Bildungsgängen, wie sie heute nach dem Ende der vierten Klasse ansteht, soll möglichst weit hinausgezögert werden – mindestens bis zur siebten Klasse. Rösner verhehlt jedoch nicht, dass er sich vorstellen könnte, die Zuordnung ganz aufzuheben und alle Kinder gemeinsam bis zum Ende der zehnten Klasse zu unterrichten. Denn die Auswahl der Schüler nach so genannten Begabungstypen, die der Zuweisung zu verschiedenen Schultypen zu Grunde liegt, sei wissenschaftlich nicht haltbar: „Das ist Unfug.“

Wie das Konzept der integrierten Schulen im Detail aussehen würde, lässt Rösner weitgehend offen. Es gebe verschiedene Möglichkeiten, die bisher existierenden Schultypen nach und nach miteinander zu verschmelzen. Eine enge Kooperation zwischen verschiedenen Schulformen sei für den Anfang ebenso denkbar wie eine teilweise Integration, die nur die Klassen fünf und sechs umfasse. Ziel sei in jedem Fall aber eine konsequente Annäherung an eine gemeinsame Schule für alle Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe I. „Die Gemeinschaftsschule ist allerdings keine bloße Addition bislang unverbundener Bildungsgänge, sondern vielmehr ein Rahmen für eine veränderte pädagogische Praxis“, erklärt der Bildungsforscher.

Welche Chancen auf Verwirklichung seine Vorschläge haben, vermag Rösner nicht abzuschätzen. Während die von den Sozialdemokraten geführte Landesregierung Schleswig-Holsteins, die die Studie in Auftrag gegeben hatte, sich schon im vergangenen Jahr ausdrücklich zu dem langfristigen Ziel einer Gemeinschaftsschule bekannt hat, scheuen die Parteifreunde in Düsseldorf die Diskussion über eine grundlegende Schulreform. Schon vor Monaten hatte Schulministerin Schäfer erklärt, sie sehe derzeit „keinen gesellschaftlichen Konsens“ für die Gemeinschaftsschule.

Zur Kenntnis genommen wurde Rösners Studie im Ministerium dennoch, wie er weiß: „Hinter vorgehaltener Hand hat man mir gesagt, unser Konzept sei ein großer Wurf.“