Im Melodienmeer ohne Anker: Tara Jane O‘Neil in der Astra-Stube
: Meisterin des abwesenden Songkleinods

Auch wenn ihre zaghafte Art zu sprechen und ihr scheues Auftreten es nicht unbedingt vermuten lassen würden – Tara Jane O‘Neil sorgte bereits für einiges Aufsehen. Es scheint ein geradezu zwanghafter Impuls zu sein, der die ewig Inspirierte nicht zur Ruhe kommen lässt und fortwährend an die Öffentlichkeit drängt.

Die vielgestaltige Spur, die Tara Jane O‘Neil in den letzten zwölf Jahren hinterlassen hat, reicht locker für drei Künstlerleben: Ihre erste Band Rodan veröffentlichte mit Rusty eines der wichtigsten (und kompliziertesten) Indie-Alben der frühen 90er. Es folgten diverse Projekte und über 30 Veröffentlichungen, deren Aufzählung hier eher für Verwirrung sorgen würde.

Resümieren wir deshalb lieber, dass sich O‘Neils Musik seit jeher zwischen experimenteller Soundgestaltung (The Sonora Pine) und folkinspiriertem Songwriting (Retsin) bewegt. Zudem ist die Multiinstrumentalistin als Schauspielerin, Tontechnikerin und bildende Künstlerin tätig. Die einzelnen Teile ihres weit gefassten Outputs können durchaus für sich genommen bestehen, sie ergeben aber auch im Zusammenhang eine ästhetisch stimmige Darstellung. Signifikant dafür sind O‘Neils schroffe, vorzugsweise gesichtslose Figurenzeichnungen, die in warmen Farben einige ihrer Platten zieren.

Das erste Soloalbum Peregrine (2000) nahm die stets etwas zerzauselt dreinblickende Dame aus Louisville/Kentucky eigenen Angaben zufolge in der heimischen Badewanne auf. Mit einem für ungeübte Ohren recht abstrakten Ergebnis entwarf sie hier ein Kaleidoskop sich umspielender Melodien, die den populären Hörerwunsch nach einer klaren Hauptlinie filigran übergingen.

Selbst O‘Neils Gesang, tief eingebettet in die Soundlandschaft, vermied die große Geste durch den Eindruck fast schon südostasiatischer Kontemplation. So sonderbar sich die Songs auch ausnahmen, in ihnen formulierte die selbst ernannte „Sound-Shaperin“ eine ganz eigene Musiksprache.

Wes Geistes Kind die heute 31-Jährige war, blieb stets angenehm ungeklärt. Auf die Frage eines übermotivierten Postrock-Journalisten, ob sie sich denn für zeitgenössische E-Musik interessiere, zuckte sie vor einigen Jahren nur mit den Achseln. Im Gegenzug verwundert auch ein Statement wie das Folgende nur wenig: „Ich bin eher zufällig im Punkrock gelandet. Eigentlich höre ich lieber Joni Mitchell.“

Diese Referenz ist gerade im Hinblick auf O‘Neils neues, viertes Soloalbum You Sound, Reflect nicht von der Hand zu weisen. Denn einiges ist diesmal anders. Das fängt schon bei der Gestaltung an, denn keine identitätslose Zeichnung, sondern ein gleißendes Fotoporträt der Künstlerin ziert das Cover. Der Sound ist insgesamt organischer ausgefallen, elektronische Versatzstücke gibt es kaum noch zu hören, und die Atmosphäre erinnert an die auf alten Folkplatten. Die zerbrechlichen Melodien sind auf Banjo, Streicher und andere akustische Instrumente verteilt.

Am Auffälligsten aber ist, dass der Gesang der Führungsrolle nicht mehr konsequent aus dem Weg geht. Fast könnte man meinen: Tara Jane O‘Neil lässt uns ein kleines Stückchen näher an sich heran. Aufgenommen wurde das Ganze in einem Keller (in Olympia/Washington) und einem Baumhaus (in Portland/Oregon) – offenbar geräumige Örtlichkeiten, wenn man die beträchtliche Zahl an Gastmusikerinnen bedenkt, von denen zwei am Samstag in der Astra-Stube die Begleitband stellen werden: Kristina Davies und Samara Lubelski. Wir sind gespannt auf den Einsatz der unter dem Ladentisch angekündigten exotischen Musikinstrumente.

Sandra Ziegelmüller

Tara Jane O‘Neil, Support: Samara Lubelski, Sa, 22 Uhr, Astra-Stube