Die Meute sucht die Absolution

Von eingeschränktem Erkenntniswert: Adriana Altaras nimmt in „Trauer to Go“ die öffentliche Trauer aufs Korn

Es ist ein Kreuz mit dem deutschen Holocaust-Gedenken: Mal trauert man zu viel, und dann ist man wieder nicht traurig genug. Man trauert gegen die befürchtete „Unfähigkeit zu trauern“ an, man trauert für ein besseres Selbstbild. Selten hat die demonstrative öffentliche Trauer etwas mit wirklichen Gefühlen zu tun. Sie ist ein politischer Akt, in dem man sich wahrgenommen weiß und Regeln einhält. Leicht schlägt diese Trauer in Gereiztheit um, wenn lobende Anerkennung dafür ausbleibt.

Dem Krampf um das richtige Erinnern hat Adriana Altaras einen Abend am Maxim Gorki Theater gewidmet: „Trauer to Go. Ein deutscher Abend“. Der Titel deutet es schon an: Die Regisseurin Altaras hält die deutsche Trauer für ebenso gründlich wie gründlich verlogen. Als äußeren Rahmen wählt sie eine Gedenkveranstaltung: vielleicht die vorweggenommene Einweihungsparty für das neue Holocaust-Mahnmal? Ein Setting mit repräsentativer Treppe, rotem Teppich, Kränzen und Buchsbaumdeko. Ein Streichquartett sorgt für den besinnlichen Klangteppich.

Doch von außen betrachtet kann die deutsche Trauer eine ziemlich groteske Angelegenheit sein: Ein Bauunternehmer aus dem Allgäu (Jockel Tschiersch) schwadroniert: „Ich möchte wissen, was dieser Zementfriedhof gekostet hat. Holocaust muss ja nicht heißen, dass man hohe Kosten verursacht.“ Ein junger Slam-Poet (Thomas Bischofberger) sinniert: „Sechs Millionen. Wenn die alle Polonäse tanzen würden, ginge das bis Kasachstan.“

Man denkt an die immer wieder kolportierten Vorfälle in Israel, bei denen deutsche Touristen plötzlich einen Rappel kriegen und beim dritten Bier den Hitler-Gruß oder ähnliches entbieten. Ein armer KZ-Überlebender (Rainer Kühn) wird von einer absolutionsgeilen Meute kreuz und quer über die Bühne gejagt. Jeder will ihn mal anfassen. Am Ende kramt er eine rührselige Geschichte hervor, wie er als Kind beim Radfahren mal etwas ins Auge bekommen hatte und ihm ein fremder Erwachsener zur Hilfe eilte. Deswegen glaube er an das Gute im Menschen, und natürlich möchte man ihm das glauben. Die Schweigeminuten-Zeremonie ist ein selbstquälerischer Zählappell. Man piesackt sich gegenseitig, und weil die Trauernden nicht stillhalten, erteilt der Zeremonienmeister (Norman Schenk) Verwarnungen. „Ich würde ja schweigen, wenn damit alles abgegolten wäre“, entfährt es einer Trauernden.

„Gedenken hat etwas mit Ausgeliefertsein zu tun“, meint Altaras. Doch sie erkennt bei den Deutschen eine humorlose Verbissenheit, die selbst wieder repressive Formen annimmt. Natürlich darf da auch die philosemitische Mahnmal-Matrone (Monika Hetterle) nicht fehlen: „Keiner entwischt mir. Alle müssen zahlen. Und alle müssen mir zuhören. Jahrelang, bis es steht!“, zischt sie mit dunkler Stimme.

Und wie fand die echte Lea Rosh sich auf der Bühne getroffen? Zufälligerweise trifft man sie nach der Vorstellung im Foyer: „Ich habe mich da nicht erkannt“, behauptet sie. Natürlich nicht. Und als Polemik gegen ihr Projekt empfindet sie Altaras’ Stück natürlich auch nicht: „Es zeigt den Zustand unserer Gesellschaft – die Unfähigkeit, mit dem Thema umzugehen.“ Genau da liegt der Haken der Inszenierung.

Es ist wie bei aller wohlfeilen Karikatur. Sie begnügt sich mit klamaukiger Verzeichnung und Klischeehaftigkeit. Der Effekt, mit dem die Inszenierung auf Gelächter schielt, bedient jene Pseudobetroffenheit, die man sich eben deshalb leisten kann, weil sie eine selbstsichere Attitüde ist. Doch die eigentliche Arbeit wäre, zu fragen, was dahinter liegt. JAN-HENDRIK WULF

Trauer to Go, Gorki Theater, wieder am 7. und 28. Dezember