herr tietz macht einen weiten einwurf
: Der gelbe Faden des Sports

FRITZ TIETZ über Doping damals und heute sowie die fortschreitende Urinisierung der Sportberichterstattung

Fritz Tietz ist 45 Jahre alt, lebt als Nachfahre ostpreußischer Einwanderer in der Nordheide und treibt gelegentlich Sport.

Das waren noch unbeschwerte Zeiten, als sich niemand um den Drogenmissbrauch im Sport scherte. Man registrierte allenfalls belustigt, dass Kugelstoßerinnen oder Hammerwerferinnen fusselige Kinnbärte wuchsen und sich unter den Trikots von Gewichthebern schon mal zirkuszeltgroße Büstenhalter abzeichneten. Auch als eben noch ranke Schwimmerinnen derart muskulierten, dass sie ohne Hilfe nicht mehr auf die Startblöcke kamen, regte sich kein offener Argwohn. Nicht mal die auffallend tiefer gelegten Stimmen der Schwimmerinnen erweckten Misstrauen; den paar Nörglern wurde beschieden: „Die Mädchen sollen schwimmen können, nicht singen.“

Die Nebenwirkungen von sportleistungssteigernden Medikamenten wurden allerdings immer unübersehbarer: „Neger“ (Heinrich Lübke) verfärbten sich zeitweise grün, Frauen konnten plötzlich nicht mehr kochen und Männer hatten ständig einen Steifen. Hals wohlgemerkt; das Doping-Phänomen männliche Dauererektion wurde erst später registriert. Auch sonst kam es zu manch extremer Mutation. Nicht von ungefähr wurde bei den Olympischen Spielen von 1968 ein italienischer Ruderer zur Miss Olympia gewählt. Für Aufsehen sorgte auch ein dreibeiniger chinesischer Dreispringer sowie ein japanischer Judoka, der im vierten Monat schwanger war.

Neben solchen körperlichen Verwerfungen waren es aber vor allem die überdopten Wettkampftoten, die einen Bewusstseinswandel in Sachen Aufputschmittel bewirkten. Erste Dopingkontrollen wurden anberaumt. Wenn nicht schon die Inaugenscheinnahme bestimmter körperlicher Ausstülpungen als Missbrauchsbeweis reichte, genügte, insbesondere bei traditionellen Aufputschern wie Terpentinersatz oder Ebersekret, häufig schon die Riechprobe, um einen Sportler zu überführen. Raffiniertere Wirkstoffe konnten jedoch nur im Harn nachgewiesen werden. So gehörte die Urinprobe bald so selbstverständlich zum Sport wie die Siegerehrung. Wie ein gelber Faden begann sie sich durch die Berichterstattung zu ziehen.

Mittlerweile ist dieser Faden zum Strahl angewachsen. Kübelweise pullert einem mitunter bei der morgendlichen Zeitungslektüre Sportlerharn auf den Frühstückstisch. Selbst mit Pferdepisse strullen sie einen neuerdings aus den Sportseiten an, weil offenbar einige Damen und Herren Springreiter ihre Gäule medikamentöser gepäppelt haben als erlaubt. Die Ausführungen über die Ausscheidungen werden immer detaillierter (Farbe? Geruch? Konsistenz?) und sogar der Akt der Urinprobenabgabe wird immer öfter zum Gegenstand weitschweifiger Berichte. Einen vorläufigen Höhepunkt lieferte diesbezüglich die letzte Welt am Sonntag, als sie die Schweizer Triathletin Natascha Badmann freiweg aus dem Spülkästchen plaudern ließ, wie so eine Dopingkontrolle „konkret“ abläuft: „Da haben die Kontrolleure verlangt, dass die Ärmel bis zum Ellenbogen hochgekrempelt werden und das Hemd bis zum Bauchnabel hochgeschoben wird. Die Hose musste bis unters Knie heruntergezogen werden, sodass die Kontrolleure wirklich genau zusehen können.“ Vermutlich nur noch eine Frage der Zeit, bis auch wir genau zusehen müssen. Im Deutschen Sportfernsehen vielleicht, dessen einstiger Eigenwerbetrailer nicht von ungefähr auf einem Männerklo spielte: mittendrin statt nur dabei.

Kaum vorstellbar jedenfalls, dass sich ein Fernseh-Mob wie der dschungelbecampte oder durch Spiegel-TV behämmerte deutsche auf Dauer solche Szenen vorenthalten lässt, wie sie die FAZ anlässlich der Urinabgabe des ungarischen Diskuswerfers Robert Fazekas beschrieb. Nackt habe der Olympiasieger von Athen vier Stunden lang vor 15 Dopingkontrolleuren verzweifelt versucht, die geforderten 75 Milliliter Harn abzuschlagen. Die Atmosphäre sei aggressiv gewesen, berichtete der Leibarzt des Athleten. Die Kontrolleure hätten Fazekas ständig berührt, „unter anderem auch an den Geschlechtsorganen“. Einer habe ihm gar am eigenen Körper zu demonstrieren versucht, wie man pinkelt. Mehr als 25 Milliliter konnte sich der Ungar dennoch nicht abpressen, was seine Disqualifikation zur Folge hatte.

Man hört im geistigen Ohr bereits den „Wetten, dass …?“-Verliererjingle lärmen.