Drang nach draußen

Chinas Wirtschaftspolitik ändert sich. Firmen investieren zunehmend im Ausland. Manche zahlen dabei Lehrgeld

„China kann nicht ewig nur von der billigen Verarbeitung leben“

PEKING taz ■ 15 Jahre lang kümmerte sich Wei Cheng* um den Import deutscher Autos nach China. Dann stieg der 36-jährige Germanist im August 2002 um: Ein privater Jeep-Hersteller aus der Inneren Mongolei hatte sich seinen Motorradanhänger aus Fiberglas in der EU patentieren lassen und schickte Wei als Geschäftsführer der neu gegründeten Tongcheng GmbH nach Frankfurt am Main. Dort ließ Wei Büro und Werkstatt einrichten, und bald bastelten ein paar Dutzend polnische Schwarzarbeiter neben drei Büroangestellten und fünf regulären Arbeitern an der Beschaffung der nötigen TÜV-Zulassungen. „Wir mussten den Anhänger tausendmal umgestalten. Hier in Deutschland ist alles total mühsam“, schimpft Wei nach einem Jahr Schwerstarbeit im Ausland. Doch er liegt mit seinen Mühen voll im Trend.

„Go out!“, heißt die neue, aus dem Englischen übernommenen Losung unter chinesischen Unternehmern. Während ausländische Unternehmen seit Jahren die Volksrepublik mit Investitionen überschütten, waren chinesische Unternehmen aufgrund ihrer planwirtschaftlichen Vergangenheit oder ihres jüngeren Gründungsdatums bislang kaum im Ausland aktiv. Das ändert sich nun.

Allein in der ersten Jahrshälfte entstanden 23 Produktionsstätten chinesischer Betriebe in Übersee. „Die Tendenz bedeutet den Wandel von einer nach innen gerichteten, passiven zu einer nach außen gerichteten, aktiven Beteiligung Chinas an der Globalisierung“, meint Wang Zhile, Forschungdirektor beim chinesischen Ministerium für Aussenhandel (Moftec).

Vorreiter sind Unternehmen wie der Hauselektrowaren-Riese Haier, weltweit die Nummer fünf der Branche. Der Konzern legte bereits im Sommer 2000 den Grundstein für eine Fabrik im US-Staat South Carolina und kaufte im letzten Jahr eine Kühlschrankfabrik in Norditalien auf.

„China braucht seine eigenen großen Marken“, begründet Haier-Chef Zhang Ruimin im taz- Gespräch seine aggressive Auslandsstrategie. „China kann doch nicht ewig nur von der billigen Verarbeitung leben.“ Für die Vision vom weltweit anerkannten chinesischen Markenunternehmen ist Zhang heute bereit, in den USA und Italien den zehnfachen Lohn wie in China zu zahlen.

Einen ähnlichen Weg versucht in Deutschland der chinesische Elektrokonzern TCL zu gehen: Im September 2002 kaufte das Unternehmen für 8,2 Millionen Euro die Schneider Electronics GmbH im bayrischen Türkheim. Damit übernahm TCL auch das einst berühmte Dual-Warenzeichen. Nun will TCL im nächsten Jahr mit der TV-Produktion in Türkheim starten. „Wir haben die Möglichkeit bekommen, im Hinterhof der multinationalen Großkonzerne mit ihnen die Klingen zu kreuzen“, sagte TCL-Chef Li Dongsheng selbstbewusst bei der Übernahme im vergangenen Jahr.

Doch das neue Selbstbewusstsein der chinesischen Unternehmen wird in manchen Fällen auch enttäuscht. „Man braucht viel Zeit, um nicht nur das Land, sondern auch den Markt und seine Gesetze kennen zu lernen“, resümiert Tongcheng-Geschäftsführer Wei in Frankfurt. Sein kleines Unternehmen steht heute kurz vor der Aufgabe der erst ein Jahr alten Niederlassung in Deutschland.

„Eigentlich hätten wir mindestens drei Jahre für die Einführung des Anhängers benötigt. In Deutschland ist das für ein neues Produkt ganz normal“, sagt Wei. Aber so lange Anlaufzeiten sind in China derzeit völlig unvorstellbar. „Zu Hause werden einem neuen Produkt sechs Monate gegeben – dann muss es Profit abwerfen, oder es verschwindet.“ Und so muss auch Wei Cheng Deutschland bald wieder den Rücken kehren.

QIANG ZHAOHUO,
GEORG BLUME

* Name und Firmenname von der Redaktion geändert