BARBARA DRIBBUSCH ÜBER GERÜCHTE
WARUM MAN IN DER SORGE UM DIE KARRIEREFÖRDERNDE „AUSLANDSERFAHRUNG“ DER KINDER DEN EIGENEN HORIZONT ERWEITERN SOLLTE
: Playstation spielen in North Carolina

Auslandserfahrung“ – ein magisches Wort. Schon für den Schülerlebenslauf. Denn wer „Auslandserfahrung“ hat, so verkünden Karriereberater unermüdlich, der zeige einen weiten Horizont. Horizont! Damit sind wir beim Thema.

„Monatelange Auslandsreisen,“ sagt Theresa, „Indien und so. Das war doch früher noch ein echtes Abenteuer.“ „Ist es auch heute noch“, versetzt Britt. Wir sitzen in der Küche und warten darauf, dass sich Britts Sohn Johannes per Skype meldet. Er lebt erst seit kurzem bei seiner Gastfamilie in Texas, die Mutter ist Verkäuferin, der Mann Ranger.

Beim Sohn der M.s lief die Sache ja prima: Noch heute hängen fröhliche Familienfotos aus Alabama in seinem Zimmer, er war am Ende auch perfekt im Flugzeugmodellbau, dem Hobby seiner Gastfamilie. Die Tochter der L.s aber kam nach einem Jahr magersüchtig aus Minnesota zurück. Die W.s gaben ihren Sohn vorsichtshalber ins Internat nach North Carolina, wo er mit einem Mitschüler aus Südkorea sein Zimmer teilte, der an der Playstation richtig doll schnell gewesen sein soll. Auch wir schickten unsere Tochter einige Monate aufs US-Internat. Das funktionierte gut, aber für das Geld hätte eine vierköpfige Familie mehrere Sommer lang sehr schick in Urlaub fahren können.

„Es ist ein solcher Gewinn, wenn junge Menschen schon früh lernen, auch die Codes anderer Kulturen kennen zu lernen“, hatte mich ein freundlicher älterer Herr belehrt, als ich auf jener Kennenlernparty einer kommerziellen Agentur herumstand, in der Internatsplätze in den USA vermittelt wurden. Als ich zu bedenken gab, dass ich in Berlin eigentlich nur drei-U-Bahn-Stationen fahren müsse, um die Codes anderer Kulturen kennen zu lernen, was ich dennoch beschämend selten täte, erntete ich Schweigen.

„Also hochgebildete Mittelschicht ist das natürlich nicht unbedingt, seine Gastfamilie“, reißt mich Britt aus meinen Gedanken. Johannes hat jetzt telefonisch Bescheid gegeben, dass er bereit ist. Sie wirft in ihrem Arbeitszimmer den Computer an, auf dem Bildschirm erscheint ihr Sohn. „Hey mom“. Er sieht fröhlich aus. Durch einen Kameraschwenk erfassen wir sein Zimmer, das zugemüllt ist wie auch in Berlin, jetzt sind allerdings noch ein paar zusätzliche Fastfoodkartons zu sehen.

Die Familie sei nett, so Johannes. Hier spiele auch der Vater gerne am Computer mit seinen Kindern. Die einheimischen amerikanischen Schüler seien zwar ein bisschen distanziert. Aber „die Mexikaner hier sind cool“. Auch mit einem Kumpel aus einer indischen Einwandererfamilie ziehe er herum. Und ja, natürlich spreche man dauernd Englisch, beruhigt er seine Mutter. „Freunde aus Indien?“, jetzt ist auch Theresa aufmerksam geworden, „wenn die nett sind, halte dir solche Kontakte bloß warm.“ Private Bekannte in Asien. Das nützt allen auf der nächsten Reise. Für die Auslandserfahrung.

BARBARA DRIBBUSCH

GERÜCHTE

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