Wust schöner Illusionen

Regisseur Sebastian Hartmann setzt bei der Premiere des Werkes „Die Glasmenagerie“, auf feines, für den jungen stürmisch-verspielten Regisseur ungewohnt geradliniges Schauspielertheater

von CAROLINE MANSFELD

„Let the happiness in“, tönt David Sylvian aus den Boxen. Die da auf der Bühne stehen, können ein bisschen Fröhlichkeit brauchen. Nicht nur der irritiert vom Bühnenrand starrende Tom, ein grandioser Samuel Weiss. Die düstere Musik schafft Konzentration im Raum. Tom erzählt vorneweg vom Amerika der Depression. In der Gegenwart erscheint der amerikanische Traum mehr denn je als Albtraum. Da braucht es kein Hinschauen auf diese elende Familie, die im Wust schöner Illusionen untergeht.

Regisseur Sebastian Hartmann lässt bei der Premiere im Schauspielhaus das von ihm eingerichtete „Spiel der Erinnerung“, wie Tennessee Williams sein 1944 uraufgeführtes Stück Die Glasmenagerie nannte, in einem stinkenden Morast aus feuchter Baumrinde versinken. Darüber setzt er feines, für den jungen stürmisch-verspielten Regisseur ungewohnt geradliniges Schauspielertheater. Der Glascontainer mit riesigen Glasfronten, den Hartmann und sein Bühnenbildner Peter Schubert über das dampfende Erdreich gestellt haben, ist überdimensioniertes Mahnmal der Zerbrechlichkeit seiner Bewohner. Einer Riege von Träumern und Flüchtlingen aus einer deprimierend sinnlosen Existenz.

Eine Augenweide: Cordelia Wege als zarte kraftvolle Laura. Mit blonder Pagenkopfperücke streift sie durch die Räume, die wie ein Rundgang um einen blattlosen – abgestorbenen – Baum gruppiert sind. Flieht vor den Tiraden und Brustvergrößerungsanwandlungen ihrer exzentrischen Mutter Amanda, Marlen Diekhoff als himmlisch mädchenhafte Furie. Lauras Beine sind bandagiert. Obwohl sie laut Vorlage „verkrüppelt“ ist, hinkt sie nicht, stürzt sich aber gepeinigt von Ess-Brechsucht kopfüber ins Klo. Die Mutter, verlassen vom Vater, dem Angestellten einer Telefongesellschaft mit „zu viel Charme“, verklärt goldene Jugendtage mit glühenden Verehrern. Auf Glück für Laura hofft sie vergebens. Die Verehrer wollen nicht Schlange stehen und Laura schleicht sich heimlich aus der Wirtschaftsschule.

Da muss Bruder Tom ran. Auch Samuel Weiss mit Intellektuellenbrille (Kostüme: Susanne Münzner) quält sich angeödet durch seinen Lagerhausjob. „Ich brauche Abenteuer“, verkündet er. Wenn ihm die Mutter zu sehr auf die Pelle rückt, stößt er, kein verhinderter Dichter wie bei Williams, ein simples „Ich geh ins Kino“ aus. Zu ihrer Beruhigung schleppt er seinen – leider gebundenen – Freund Jim, Thomas Lawinky, an, den Laura prompt in die Geheimnisse ihrer versponnenen Welt einweihen will.

Hartmann liebt das polternde Drumherum. Immer wieder durchbricht er die Konzentration – nicht zum Schaden des Stücks. Grelle Lichtblitze wechseln als Tageszeiten, vernebelter Modder kündet vom nahen Unglück. Die Bühne scheint sich selbst im eigenen Drehwurm davonzulaufen. Dazwischen robben sich Laura und Jim bäuchlings gleich Soldaten im Wehrdienst durch den Morast. Und enden in einem schlammigen Wasserloch. „Au!“, schreit Jim. Blut spritzt. „Das ist meine Glasmenagerie“ lüftet Laura ihr Geheimnis.

Um die Zukunft Amerikas ist es schlecht bestellt. Um das Theater schon besser. Wie schon in seinen letzten Arbeiten vermeidet Hartmann jedes eindeutige Schlussbild. In dieser zunehmenden Konzentration findet er zu größerer Kraft.

weitere Vorstellungen: 5., 18. + 27. Dezember, 20 Uhr, Schauspielhaus