Intervention für Menschenrechte?

Dem kanadische Publizist und Wissenschaftler Michael Ignatieff wurde der Hannah Arendt-Preis 2003 für Politisches Denken in der Bremer Kunsthalle verliehen: einem Denker, dem zuzuhören und den zu lesen ein intellektuelles Vergnügen bereitet

Gibt es einen moralisch zu rechtfertigenden Imperialismus, das ist die provozierende FrageIm Kosovo waren zivilisierte Nationen auch für ihr Nicht-Handeln verantwortlich

Bremen taz ■ Zur französischen Kultur gehören Veranstaltungen, die vom Vergnügen an intellektuellen Darbietungen leben, wie das tägliche Brot – die Grande Nation liebt und feiert ihre Intellektuellen, ganz im Unterschied zu Deutschland. Die Heinrich Böll-Stiftung versucht, mit ihren „Hannah Arendt-Preis für politisches Denken“ also gleichsam „französische“ Akzente zu setzen. Nach Francois Furet, Claude Lefort, Gianni Vattimo und anderen ist in diesem Jahr der 1947 in Kanada geborene Sohn russischer Emigranten Michail Ignatieff geehrt worden. Am Freitag kamen an die 200 Interessierte in die Bremer Kunsthalle und gönnten es sich, durch die Preisträger-Rede des Frankfurter Alt-Linken und heutigen Mitherausgebers der FAZ-Sonntagszeitung Thomas Schmid und den Vortrag von Ignatieff am intellektuellen Vergnügen des Denkens teilzunehmen.

Schmid nannte Ignatieff einen „Liberalen aus der linken Tradition“. Das kam so selbstverständlich, als sei es eine Ewigkeit her, dass Schmid wie Ignatieff – vor 30 Jahren – gegen den Vietnam-Krieg demonstrierten und die liberale Tradition von „links“ dem Verdacht aussetzten, nur „scheißliberal“ und ein ideologisches Feigenblatt für klassischen Imperialismus zu sein.

Gibt es einen moralisch zu rechtfertigenden Imperialismus, das ist die provozierende Frage, der Ignatieff mit bewundernswerter und damit preiswürdiger Offenheit nachgeht. An Hannah Arendt, so bekannte er in seinem Vortrag, bewundert er, dass sie nach ihrer Emigration in New York „authority by the power on thought“ erlangte, intellektuelle Autorität allein durch die Macht ihrer Gedanken. „Skeptisch, leidenschaftslos und frei“ wie Ahrend beschreibt Ignatieff die Versuche der USA, der einzigen verbliebenen Weltmacht, sich außerhalb ihrer eigenen Grenzen für Menschenrechte und Demokratie einzusetzen. „Der Fall Vietnam beweist: Der Nationalismus ist und bleibt die Nemesis für jedes imperiale Ordnungsprojekt“, hat Ignatieff in seinem jüngsten Buch „Empire light“ formuliert. Die „light“-Version des Imperialismus – nach der Begriffsbestimmung von Ignatieff – ist für die Durchsetzung der Geschäftsinteressen nicht unbedingt auf Eroberungen angewiesen, sondern formuliert das Ziel, Demokratie und Menschenwürde institutionell verankern zu wollen, um sich damit als militärische Ordnungsmacht überflüssig zu machen.

Ignatieff hat die „Zwickmühle“ aller Versuche, einer anderen Nation von außen zu ihrem demokratischen Glück zu verhelfen, in diversen Aufsätzen am Beispiel des ehemaligen Jugoslawien und Afghanistans beschrieben. Wer im Zentrum seiner moralischen Überzeugung die Menschenrechte sieht, darf nicht an Grenzzäunen die Verantwortung ausschalten – auch für sein Nicht-Handeln ist jedes Individuum voll verantwortlich, diesen ethischen Rigorismus teilt Ignatieff mit Arendt.

Das bedeutet: Im Kosovo waren zivilisierte Nationen wie die Holländer auch für ihr Nicht-Handeln verantwortlich. Mehr noch: „Die Entsendung von 20.000 NATO-Soldaten(um die Unversehrtheit und Unteilbarkeit Bosniens zu garantieren) hätte den Überfall der Serben aufhalten können, wenn er im Januar 1992 erfolgt wäre.“

Für Ignatieff verbindet sich dabei mit Macht auch die Pflicht, sie im moralischen Sinne zu nutzen: „Die Balkankriege von 1991 bis 1995 haben, indem sie das Konzentrationslager erneut nach Europa brachten, wieder einmal jene Illusion zunichte gemacht, die uns die Wörter europäisch und zivilisiert gleichsetzen ließ.“

Dieses Dilemma und damit die moralische Pflicht zur Intervention sieht Ignatieff auch für die USA angesichts des irakischen Diktators. Er stellte vor Beginn des Irak-Krieges die Frage, ob Amerika „mächtig genug“ sei, auch in Palästina für einen Frieden zu sorgen. Denn: „Ohne Frieden in Nahost würde der Sieg im Irak die Palästinenser und Israelis in einem Konflikt zurücklassen, in dem sie nicht nur sich gegenseitig vernichten würden, sondern auch jede amerikanische Autorität in der Islamischen Welt.“ Schade nur, dass die Zeremonien einer Preisverleihung am Freitag keine Debatte darüber erlaubten.

kawe