Der Mann mit dem langen Arm

Stefan Seidel, Torwart der SG Neukölln, ist zum Wasserballer des Jahres gewählt worden. Seit 14 Jahren stoppt er die Bälle für seinen Verein, dem er trotz Angeboten aus dem Ausland treu blieb. Nun kümmert der 27-Jährige sich auch um die Organisation

VON ARTHUR SCHMIDT
VON HAPPE

Wasserballer sehen im Wasser alle gleich groß aus. Nur manchmal schrauben sie sich in die Höhe, um mit einem gezielten Wurf den Torhüter zu überwinden. Gegen den hoch aufgeschossenen Stefan Seidel mit entsprechender Armspannweite ist das letztes Jahr weniger oft gelungen als von den Werfern erhofft. Der Neuköllner Torhüter ist im November zum „Wasserballer des Jahres“ gewählt worden.

Der Titel passt gut zur momentanen Situation des SG Neukölln. Die Mannschaft hat die ersten vier Saisonspiele gewonnen, besser kann man in eine Saison nicht starten. Doch auf diesen Erfolge angesprochen, verfällt der 27-Jährige nicht in Euphorie, sondern bleibt kühl.

Er selbst hält sich nicht für den besten Torhüter der Wasserball-Bundesliga, auch wenn er der Rückhalt seiner Mannschaft ist. Die Auszeichnung zum „Wasserballer des Jahres“ werde von den Trainern und Schiedsrichtern ermittelt und betone einmalige Spitzenleistungen in einem Spiel mehr als die kontinuierliche Leistung in der ganzen Saison, ordnet der Neuköllner Torhüter seinen Titel eher nüchtern ein. Auch den guten Saisonstart will er nicht zu hoch hängen. Wenn die Mannschaft die nächsten beiden Spiele verliert, sieht alles schon wieder anders aus.

Der Vermögensberater Seidel bewahrt einen kühlen Kopf, was ihn auch außerhalb des Tores auszeichnet. Mehr hat ihn die Wahl der Neuköllner Fans zum „Spieler des Jahres“ gefreut. Anerkennung aus dem näheren Umfeld ist Seidel wichtig, wenn er etwa mitbekommt, dass die Leute nachfragen, falls er mal nicht im Tor steht.

Für diese Saison hat Neukölln zusätzlich den einstigen ukrainischen Nationaltorhüter Igor Uchal geholt, das empfindet Seidel nicht als Konkurrenz, sondern als Vorteil für die Mannschaft. Der ehemalige Nationalspieler weiß, was er kann, ohne nach den Sternen zu greifen.

Wasserball spielt Seidel seit 14 Jahren, davor war er Schwimmer in der Kinder-und-Jugend-Sportschule der DDR. Doch im Laufe dieser Karriere merkte er, dass er sich als Schwimmer nicht mehr weiterentwickeln konnte. Kurz nach der Wende ’89 machte er Schluss mit dem Schwimmen, um seine Körpergröße als Basketballer auszuspielen. Rückenprobleme verwarfen bald seine Basketball-Ambitionen, und er entschied, es noch einmal im Wasser zu probieren.

„Wenn ich Sport mache, will ich erfolgreich sein“, sagt Seidel über seinen Einstieg als Wasserballer. Die Erfolge ließen nicht lange auf sich warten. 1992 war er erster ostdeutscher Spieler in der deutschen Wasserball-Nationalmannschaft, mit der er bis 1995 seine größten Erfolge feiern konnte. Dreimal war er bei einer Europameisterschaft, zweimal stand er bei einer WM im Tor. Erst mit dem Berufseinstieg musste er sein Trainingspensum verringern, schließlich kann man mit Wasserball in Deutschland kein Geld verdienen.

„Solange wie es geht, solange ich helfen kann“, will der 27-jährige im Tor der SG Neukölln stehen. Diese Saison ist der fünfte Tabellenplatz anvisiert und damit eine mögliche Teilnahme am europäischen Wettbewerb. Für die junge Mannschaft ein realistisches Ziel und für Seidel die Möglichkeit, sich wieder international zu präsentieren.

„Als Torwart kannst du allein ein Spiel gewinnen, kannst es aber auch allein verlieren“, beschreibt Seidel die Faszination, als Wasserballer im Tor zu stehen. Bei Neukölln ist er seit 1994 Torhüter und eng mit dem Verein verbunden. Als Kapitän ist er bereit, Verantwortung zu übernehmen, denn die Mannschaft steht gerade im Umbruch. Trainer Frank Buchholz versucht, viele junge Spieler zu integrieren, und da ist so jemand wie Torhüter Seidel gefragt.

„Mein Trainer sagt immer so schön, ich bin das Bindeglied“, zitiert Seidel. Er hütet nicht nur das Tor, sondern kümmert sich auch um organisatorische Dinge. Und er schätzt die gute Kameradschaft im Team, mit dem man auch mal „nach dem Spiel zusammen feiern geht“.

Dieses intakte Umfeld ist dem gebürtigen Berliner auch im Privaten wichtig. In Berlin wohnen seine Familie und seine Freunde. Die Stadt zu verlassen kommt und kam für ihn nicht in Frage, auch wenn er im Laufe seiner Karriere die ein oder andere Anfrage von auswärtigen Vereinen bekommen hat. Und etwas stolz fügt er hinzu: „Ich bin ja kein ganz Schlechter.“

Am 13. Dezember 2003 spielt SG Neukölln gegen SV Bayer Uerdingen in der Schöneberger Schwimmsporthalle, 15:30 Uhr. Der Eintritt ist frei.