Die Ideale sind schuld

Die Geschichte des guatemaltekischen Anwalts und Aktivisten Alsonso Bauer Paíz erzählt „Testamento“, ein Dokumentarfilm von Uli Stelzner und Thomas Walther

„Testamento“: die Verfügung über den Nachlass. Reichtümer hat der 81-jährige Alfonso Bauer Paíz nicht zu verteilen, dafür etwas, das sich nicht in Gold aufwiegen lässt: Erfahrung. Erfahrung des Unglücks, der Verfolgung und des Glücks, ein Leben im Kampf für die Gerechtigkeit geführt zu haben. Sein „Politisches Testament“ hat Bauer Paíz bereits Mitte der Sechziger veröffentlicht. Der Guerillakrieg war in Guatemala voll entbrannt, Todesschwadronen zogen durchs Land und ermordeten tausende. Auf den praktizierenden Anwalt wird ein Attentat verübt, es wird nicht das letzte bleiben. Und er wird seinen politischen Kampf noch lange nicht beenden.

Zehn Jahre war Paíz Mitglied der Revolutionsregierung, die 1944 den Sturz der Militärdiktatur herbeigeführt hatte. Er ist jüngster Abgeordneter des Parlaments, gründet mehrere Gewerkschaften und wird sich später als Arbeits- und Wirtschaftsminister mit der mächtigen „United Fruit Company“ anlegen. Trotz der US-freundlichen Einstellung der jungen Regierung sieht Washington seine wirtschaftlichen und politischen Interessen gefährdet und bereitet insgeheim den Umsturz vor – dass die CIA am Staatsstreich von 1954 beteiligt war, ist in diesem Jahr offiziell bestätigt worden.

Was folgt, liest sich weniger wie die Biografie eines einzelnen Mannes als wie das Schicksal eines ganzen Kontinents. Nach Exil in Mexiko (wo er Che Guevara kennen lernt) und heimlicher Rückkehr nach Guatemala muss er drei Attentate überleben, bevor man ihn überreden kann, erneut ins Exil zu gehen. Nach Chile, wo er 1973 den Sturz von Allende miterleben muss. Nach Kuba, danach Nicaragua zu den Sandinistas. Überall arbeitet der Anwalt unermüdlich mit an seiner Vorstellung von einer gerechteren Welt. Nach über zwanzig Jahren kehrt er 1993 in seine Heimat zurück, wo er sich für die rückkehrenden Flüchtlinge einsetzt. Mit 81 Jahren wird er bei den zweiten freien Wahlen überhaupt wieder ins Parlament gewählt, diesmal als ältester Abgeordneter. Die rechtspopulistische FRG hat dort die Mehrheit. Deren Anführer ist der General Ríos Montt, dessen „Politik der verbrannten Erde“ Anfang der Achtziger zehntausenden Indígenas das Leben kostete.

Aber die Regisseure Uli Stelzner und Thomas Walther verlassen sich nicht auf die Eckdaten der offiziellen Geschichte. Sie scheuen sich nicht, Einblicke in das private Leben ihres Protagonisten zu geben, aus denen ein komplexeres Bild entsteht, in dem Widerspruch und Bestätigung dicht beieinander liegen. Dass für den Sozialisten stets zuerst die Politik, dann die Familie kam, war seinen Angehörigen klar. Der Sohn erzählt, dass zu Hause wenig geredet wurde. Seine Tochter findet lobende Worte, sagt aber zugleich: Die Ideale sind schuld, weil sie so viel Schmerz mit sich bringen. Ihre ältere Schwester tötete sich selbst, als sie fünfzehn war, mit der einzigen Pistole, die Bauer Paíz jemals in sein Haus ließ. Sein Schwiegersohn wird auf offener Straße erschossen. Er verliert weitere Angehörige an tödliche Krankheiten. Ob Bauer Paíz aus Überzeugung weitermacht oder weil alles andere ihm noch die letzte Lebenskraft rauben würde, ist schwer zu sagen. Noch mit achtzig Jahren geht er täglich schwimmen, mit ungelenken Bewegungen kämpft er sich mehr durchs Wasser, als sich vom Wasser tragen zu lassen. Durchhaltevermögen und Disziplin oder, wie Stelzner es formuliert: die „quijoteske Sturheit seines Strebens nach Gerechtigkeit“. Wenn von so einem gesagt wird, er hätte „una vida bien difícil“, ein schwieriges Leben, dann meint das auch: eines, das nur schwer zufrieden zu stellen ist.

DIETMAR KAMMERER

„Testamento“. Regie: Uli Stelzner, Thomas Walther. Termine siehe tazplan