Gute Seifen, schlechte Seifen

Neue Fernsehserien für alle: Händel, Hass und Herzattacken prägen das TV-Programm

Rituelle Waschungen durchziehen die Menschheitsgeschichte wie der Ganges den indischen Subkontinent: Der Brahman badet im heiligen Fluss, der Russe schlägt sich das sprichwörtliche Loch ins Eis der Neva, der Finne immerhin schwitzt in der Sauna. Und der Bewohner der gemäßigten Zone? Außer der allwöchentlichen Fahrt durch die Autowaschstraße scheint der Westeuropäer kaum mehr die Seelen reinigende Kraft ritueller Waschungen zu kennen. Schonwaschgänge, so fern das Auge sieht …

Schmierseifenmogul

Die Medienindustrie hat die Zeremonie für den Zivilisationsmenschen auf leichtverdauliche Fernsehserienhäppchen heruntertrivialisiert. Die tägliche Seifenoper ist das Ersatzritual abgedimmter Couch Potatoes, die nichts zu verlieren haben als ihre Fernbedienung. Fügen wir uns also unserem Schicksal, zappen auch wir durch das Programm von Soap-TV, das uns demnächst erwartet:

Mit „Gute Seifen, schlechte Seifen“ kommt endlich eine tägliche Seifenoper, die ihrem Namen auch gerecht wird. Händel, Hass und Herzattacken wechseln sich in rascher Folge ab mit Liebesglück und Lustgewinn, wenn das unentwirrbare Knäuel an Intrigen und Verstrickungen, denen die Seifensiederdynastie Märzenich tagtäglich ausgesetzt ist, über die Mattscheibe schliddert. Wieder und wieder quietscht der Lachsack, wenn Seniorchef Hugo Märzenich in die Fettnäpfchen tritt, die sein erbittertster Konkurrent, der Schmierseifenmogul Bensdorp, an völlig unerwarteten Stellen aufgestellt hat. Eine kultverdächtige Serie, die Essenz aus 2.000 Jahren westlicher Seifenkultur.

Kieswerkprinzipalin

Jahrelang machte „Anna Maria“ erfolgreich ihren Weg, nun wollen die Unterhaltungsbevollmächtigten der ARD die Kiesgruben-Serie wiederbeleben und ihr ein etwas realitätsnäheres Image verpassen. Und weil das Seebergersche Kieswerk aufgrund russischer Billigimporte dem wirtschaftlichen Ruin entgegentrudelt, muss die Prinzipalin in der Fortsetzungsserie „Anna Maria – Eine Frau harkt ihren Weg“ die lästigen Haus- und Gartenarbeiten, die in ihrem bescheidenen 24-Zimmer-Anwesen anfallen, selbst verrichten. Nicht einmal mehr für Haushälterin und Gärtner ist in diesen schweren Rezessionszeiten der sprichwörtliche „Kies“ vorhanden. Wird Anna Maria in Deutschland auch weiterhin einen lebenswerten Standort finden? Fragen über Fragen, doch was sie nicht umbringt, macht Anna Maria nur stärker. In den 346 geplanten Folgen zeigt sie den Kiesmagnaten dieser Welt, was eine Harke ist.

Nach dem überwältigenden Erfolg diverser alpiner Schneeopern wurde mit „Der Endmoränenclan“ eine Nachfolgeserie aufgelegt, die den Vergleich mit den Vorgängern in keiner Sequenz zu scheuen braucht. Herbert Waslinger ist der Herr über ein Endmoränenimperium im bayerischen Voralpenland, das er mit eiserner Hand regiert. Sein Clan hat den Moränenhandel im idyllischen Landkreis Rosenheim völlig monopolisiert – unter sieben „Riesen“ geht bei ihm keine Gebrauchtmoräne über den Schanzentisch. Bis zu dem Tag, an dem sieben „Zwerge“ mit sieben schneeweißen Westen auftauchen.

„Dübel-Alarm“, die neue RTL2-Doku-Soap reitet auf der aktuellen Heimwerkerwelle mitten ins Herz des deutschen Schlagbohrers. Lebensnahe Katastrophen aus der faszinierenden Welt der Altbausanierung sind das täglich Brot von Heimwerker Otto Haslow, der sich vorgenommen hat, seine frisch bezogene Altbauwohnung in 26 Folgen in ein Schmuckkästchen zu verwandeln. Doch schon beim ersten Versuch, seine Regale in der maroden Wand zu verankern, wird Dübelalarm ausgelöst.

Nelli, die ein Jahr alte Tochter des berühmten Hypnotiseurs und Diplom-Parapsychologen Gundomir Lemp, ist der Star der neuen Serie „Bezaubernde Nelli“, mit der das ZDF an die amerikanische Erfolgsserie um die legendäre Jeannie anknüpfen will. Das süße Baby hat die übersinnlichen Fähigkeiten vom Vater in die Wiege gelegt bekommen: In der ersten Folge lässt sie mit ihrem magischen Blinzeln einen ansonsten trittfesten Bergsteiger ins Straucheln geraten und stürzt ihn so in eine circa 300 Meter tiefe Sinnkrise, der er aber nach einem zweiten Blinzeln Nellis wie durch ein Wunder unbeschadet entkommt.

Kompaktbriefbotin

Familie Gelting hat das Amberger Paketpostamt fest im Griff: Vater Robert an der Waage, Sohn Mecki am Massenschalter und Tochter Heidelinde als Postbotin. „Die Geltings vom Paketpostamt“ erleben im Laufe der neuen RTL-Serie alle Höhen und Tiefen eines Lebens im Dienste der Paketzustellung: vom Wertpaket mit Rückschein bis zum falsch adressierten Nachnahmepäckchen. In der ersten Folge will ein unauffälliger Mittvierziger arabischer Herkunft ein drei Kilo schweres Paket allen Ernstes als Kompaktbrief versenden. Und das in der Vorweihnachtszeit! Doch Vater Gelting ist nicht auf die Dienstmütze gefallen und verlangt gnadenlos die volle Paketgebühr.

Serien über Serien. Nichts kann sie aufhalten. Es wird noch seifiger auf der Straße des Fernsehlebens. RÜDIGER KIND