Die Zeugen Tolkiens

Demnächst kommt der Film in die Kinos. Nichts gegen den „Herrn der Ringe“. Aber vielleicht sollte man den allzu verbissenen Fans mitteilen: Es gibt ein Leben jenseits von Fantasy und McMythologie

VON ARNO FRANK

„Elen sila numen umen tjelbo“, mmmh. „Elen sila numen umen tjelbo“, das kann man gar nicht oft genug sagen. Denn „Elen sila numen umen tjelbo“ muss man sich auf der Zunge zergehen lassen, weil das mantrahafte Auf-der-Zunge-zergehen-Lassen der eigentliche und einzige Sinn dieses Satzes ist, so stimmhaft und warm und weich kullern einem die Silben über die Lippen. Versuchen Sie einfach mal, die Worte verächtlich auszuspucken – phonetisch unmöglich. „Elen sila numen umen tjelbo“ stammt nämlich aus der Sprache der Elben und bedeutet angeblich: „Ein Stern leuchtet über der Stunde unserer Begegnung.“

„Ein allzu schwaches Lämpchen flackert über der gähnenden Leere in meinem Oberstübchen“ wäre eine weit treffendere Übersetzung. Aber nicht im Sinne des Erfinders, der es mit der Grammatik des Nichts so genau nahm wie ein L. Ron Hubbard mit seiner Wissenschaft der Dianetik. Was sich da ein vom Weltkrieg traumatisierter und von seinem Beruf offenbar tödlich gelangweilter Literaturprofessor mit bestürzender Akribie aus den Fingern saugte, hat längst kultische Ausmaße angenommen.

Nichts gegen J. R. R. Tolkiens neoromantisches Proto-Fantasy-Epos „Der Herr der Ringe“: Es ist eine ideale Lektüre für 14-Jährige, die mit Mumps im Bett liegen, es vertreibt die Zeit und wird anschließend vom Gedächtnis rückstandslos entsorgt. Weil sich Fantasy zu echter Fantasie verhält wie Malen nach Zahlen zu einem echten Aquarell. Und nichts gegen Peter Jacksons Verfilmung, deren dritter Teil am 17. Dezember in die deutschen Kinos kommt und dem Drehort Neuseeland derzeit eine beispiellose Touristenschwemme beschert.

Eine soziale Allergie allerdings erleiden manche Menschen, wenn sie es mit den durchweg absolut humorfreien Jüngern Tolkiens zu tun bekommen, die sich das Ticket nach Wellington nicht leisten können. Erwachsene Menschen, die sich von Gleichgesinnten „Gandalf“ rufen lassen und ihre Hunde „Sauron“ nennen. Selbst ernannte Elben oder Orks, die in Internetforen noch die letzten Tolkien’schen Hirngespinste ausdiskutieren müssen. Mittelalter-Fans, die im Alltag Höflichkeit mit höfischem Geschwätz verwechseln. Computerfreaks, die nicht nur ihre Nächte in künstlichen Welten verbingen, sondern auch tagsüber mit Amuletten und Runen hausieren gehen. Rollenspieler, die ein schizophrenes Verhältnis zur gespielten Rolle entwickeln. Die über die nordische Sagenwelt schwadronieren und doch nur Walt Disneys „Lustige Taschenbücher“ im Regel stehen haben – keine Edda.

Menschen also, die die McMythologie von Mittelerde für bare Münze nehmen. Und dabei den qualitativen Unterschied beispielsweise zwischen dem „Herrn der Ringe“ und dem Nibelungenlied mit verdächtiger Bräsigkeit ignorieren – hey, ist doch beides nur erfunden! Die als Legende aus prähistorischen Zeiten angelegte Trilogie ist die Simulation einer Utopie für Leute, die keine Utopien mehr kennen. Warum noch Städte wie Venedig, Paris oder Alexandria besuchen, wenn man deren postmodernes Amalgam auch in Las Vegas besichtigen kann?

Schlüssel des Erfolgs ist die Karte von Mittelerde, die dem idealen Nichtort, dem utopos, eine Topografie und damit ein Gesicht gibt – ähnlich neueren Ausgaben des Alten Testaments, wo Karten von Galiläa eine Authentizität suggerieren, die es nicht gibt. Darüber hinaus bedürfen die Jünger Tolkiens, wie die Anhänger jeder anderen esoterischen Sekte auch, der Gemeinschaft gleichgesinnter Gefährten, um die Illusion perfekt zu machen. Man versteht sich.

Im Gegensatz zur technizistischen Welt der „Star Trek“-Fans ist in Mittelerde nicht einmal Platz für ein Augenzwinkern, von Sex ganz zu schweigen. Nein, „Herr der Ringe“-Fans stellen sich so dumm, dass es dümmer nicht geht.

Denn der ganze Unsinn ist weniger harmlos, als es scheint. Wie heißt es im Buch? „Ein Ring, sie zu knechten, sie alle zu finden, ins Dunkel zu treiben und ewig zu binden“ – während andernorts ein Leben verpasst wird. Ein echtes, reales Leben. „Check it out!“, es könnte fantastisch sein.