Fortuna küsst nicht mehr

Rudi und die Seinen müssen bei der EM in Portugal gegen Holland, Lettland und Tschechien ran. Der Teamchef weiß, dass es leichtere Gegner hätte geben können. Jubeln will er jedenfalls nicht

VON FRANK KETTERER

Rudi Völler hatte seinen feinsten Zwirn angelegt, sich sogar eine Krawatte um den Hals gebunden, seine graue Pudelfrisur frisch geföhnt und, natürlich, sein nettestes Rudi-Riese-Lächeln aufgesetzt. Der Republik oberster Teamchef sah auffallend schnieke aus – und an Grund dazu mangelte es auch nicht. Rudi wandelte gestern in Lissabon auf Freiersfüßen, und die Dame, die es zu becircen galt, war keine Geringere als: Glücksgöttin Fortuna. Die beiden kennen sich gut, schließlich hatten sie schon einmal ein Techtelmechtel miteinander, vor nicht ganz zwei Jahren. Da muss Fortuna sehr verliebt gewesen sein in unseren Rudi, was man durchaus verstehen kann, ist ja auch ein netter Kerl. Und deshalb hat die schöne Dame ihn reichlich beschenkt, damals, ein halbes Jahr vor der WM auf den Fußballfeldern Asiens, nämlich mit: Saudi-Arabien, Irland und Kamerun. Fortuna hat Rudi damals sehr glücklich gemacht.

Liebe kann erkalten, manchmal endet das sogar in einem Rosenkrieg. So weit ist es zwischen Fortuna und Rudi noch nicht gekommen, aber immerhin: So richtig lodernd ist das Feuer wirklich nicht mehr. Vielleicht hat es sie genervt, dass er bisweilen von Mist, Käse und Scheißdreck schwadroniert, eine so feine Dame mag das nicht. Und deshalb zickt sie nun rum – und macht Rudi das Leben schwer. Ziemlich schwer. Den Sommer und mithin die Fußball-EM in Portugal muss Rudi nun jedenfalls erst mal mit Tschechien, Lettland und den Niederlanden verbringen.

Dass das ziemlich gemein ist von Fortuna, hat Rudi gleich gemerkt. „Es hätten auch etwas leichtere Gegner sein können. Wir können sicher nicht jubeln“, hat er jedenfalls gesagt. Und auch die anderen haben vernommen, dass es im Moment ein wenig knirscht zwischen Rudi und seiner einstigen Liebe. „Niederlande und Tschechien sind die derzeit führenden Mannschaften in Europa“, will Rudi Assauer von Schalke wissen, was nichts Gutes verheißt. „Lettland hat immerhin die Türkei rausgeworfen“, ergänzt Nationalspieler Oliver Neuville. Weshalb Jupp Heynckes, Trainer von Schalke 04 und ausgewiesener Fachmann im internationalen Fußball, schon jetzt rät: „Wenn wir eine Chance haben wollen, müssen wir von Anbeginn an topfit sein.“ Dass das allein ausreicht, scheint allerdings selbst Gerhard Mayer-Vorfelder, Rudis weinseliger Chef, in Zweifel zu ziehen, weshalb er am liebsten tauschen würde: „Mir hätte es am besten gefallen, wenn wir anstelle von Spanien in die Gruppe A gekommen wären.“ Dann hießen die Gegner im Sommer Portugal, Griechenland und Russland.

Nun hat Fortuna anders entschieden, und als ob das nicht schon perfide genug wäre, hat sie auch den Zeitplan nicht nach Rudis Geschmack zusammengestrickt: Erst am 15. Juni und damit drei Tage nach dem Eröffnungsspiel zwischen Portugal und Griechenland starten Rudi und die Seinen in Porto ins Turnier – und das auch noch ausgerechnet gegen die Holländer. Lettland folgt am 19. Juni, erneut in Porto; vier Tage später kommt es dann in Lissabon zum Aufeinandertreffen mit den Tschechen. Und dann? Dann kann die EM auch schon vorbei sein für Deutschland. Es sei denn, die Dinge ändern sich dramatisch, und Rudi bringt die Sache doch noch mal zum Lodern. Ohne Fortunas Küsse, das steht heute schon fest, wird es in Portugal jedenfalls nicht weit gehen.