Die Kassenbeiträge sind nicht berechenbar

Die Krankenkassen machen dieses Jahr drei Milliarden Miese. Platzen die Versprechungen der Gesundheitsreform?

Einen „Trend“, der sich verfestige, hat der AOK-Chef Hans Jürgen Ahrens also ausgemacht. Das ist eine hübsche neue Umschreibung dafür, dass die Krankenkassen in diesem Jahr viel mehr Geld für die Gesundheitsversorgung der gesetzlich versicherten 90 Prozent der Bevölkerung ausgeben müssen, als sie einnehmen. So wie auch schon vergangenes Jahr, so wie vermutlich auch kommendes Jahr. Das Problem liegt darin, dass den Kassen von der Regierung verordnet wird, Schulden zu machen. Denn die Kassenbeiträge sind ein Politikum. Sie sollen sinken, damit das rot-grüne Versprechen aufgeht, dass die Lohnnebenkosten niedriger werden.

Eigentlich brauchten die Kassen bloß die Beiträge anzuheben, um das notwendige Geld zur Bestreitung der Volksgesundheit hereinzuholen. Etwa so: Ihr besteht darauf, euch alle vor der Gesundheitsreform am 1. Januar noch neue Brillen zu holen? Nun gut, dann heben wir halt die Beiträge an. Um etwa die 3 Milliarden Euro Miesen dieses Jahres auszugleichen, müsste der Durchschnittssatz von 14,3 auf 14,6 Prozent steigen. Die Faustregel lautet: 10 Milliarden Euro gleich 1 Prozent Kassenbeiträge. 3 Milliarden sind also 0,3 Prozent. Da können auch Nichtstatistiker leicht mitrechnen.

Nun sollen die Kassen aber auf keinen Fall die Beiträge anheben, sondern – siehe oben: Lohnnebenkosten und so – senken. Nach Willen und Meinung der Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) sind 0,7 Prozentpunkte drin. Denn die Gesundheitsreformer haben ausgerechnet, dass die Zuzahlungen und Streichungen im kommenden Jahr 10 Milliarden Euro bringen. Davon dürfen die Kassen 3 Milliarden zum Defizitabbau verwenden, der Rest soll „an die Versicherten weitergegeben werden“, sich also in niedrigere Beiträge verwandeln. Und die Altschulden aus dem letzten Jahr? Die werden bis 2007 abgebaut. „Schulden strecken“ heißt das.

Um es kurz zu machen: So läuft es nicht. Kaum eine Kasse wird ihre Beitragssätze nächstes Jahr um 0,7 Prozent senken, schon gar nicht zu Jahresbeginn. Die Zumutungen und Streichungen der Gesundheitsreform werden sich 2004 weder für Versicherte noch für Arbeitgeber spürbar auszahlen. Denn niemand weiß, ob die 10 Milliarden nächstes Jahr wirklich reinkommen. Die Tabaksteuer zum Beispiel wird dank SPD-eigener Intrigen nur halb so üppig quillen wie gedacht. Ob und wie die „Struktureffekte“ – die Versuche, Kliniken und Ärzte zu effizienterem Verhalten zu bewegen – greifen, ist unklar. Ob die Arztgebühr funktionieren wird, steht nach dem Theater, das die Ärzteschaft bislang darum aufführt, in den Sternen. Und welche Einbußen die Arbeitslosigkeit den Kassen (und nicht nur ihnen) noch bereiten wird – tja, das wüssten wohl alle gern.

Die Gesundheitspolitik will Zahlen produzieren, an denen sich das Versichertenvolk festhalten kann: Beitragssenkungen um x Prozent, Einsparungen von y Milliarden. Doch jede Zahl birgt das nicht eingehaltene Versprechen immer schon in sich. Was so knackig und rund klingen soll, ist in Wahrheit Spekulation. Offensichtlich aber finden Politiker den Nutzen der als „handfest“ verkauften Zahl immer noch größer als den Schaden der nicht eintreffenden Prognose.

ULRIKE WINKELMANN