„Wir müssen das Grundgesetz ändern“

Polizei und Geheimdienst könnten eine gemeinsame Islamistendatei führen. Doch dann muss die Gesellschaftdas Überschreiten einer bisher gültigen Grenze absegnen, sagt der Verfassungsrechtler Andreas Nachbaur

taz: Herr Nachbaur, ab heute beraten die deutschen Innenminister über die Einrichtung einer gemeinsamen Islamistendatei von Polizei und Verfassungsschutz. Ist das sinnvoll oder eine gefährliche Machtzusammenballung?

Andreas Nachbaur: Vermutlich beides. Der Informationsaustausch zwischen Polizei und Verfassungsschutz ist ja nichts Neues. Bisher dauerte es oft nur sehr lange, bis Anfragen beantwortet wurden. Eine gemeinsame Datei kann die bisher holprige Zusammenarbeit effizienter machen. Zugleich durchbricht sie aber auch das Gebot, Polizei und Geheimdienste organisatorisch und in ihren Befugnissen getrennt zu halten.

Was heißt das?

Wenn die Polizei auf Daten des Verfassungsschutzes zugreifen kann und umgekehrt, dann rücken beide Behörden sehr nahe zusammen. Mittelbar nützen sie jeweils die Befugnisse der anderen Behörde. Schon die bisherige Informationszusammenarbeit war problematisch, aber mit der geplanten Islamistendatei ist der Verstoß gegen das Trennungsgebot offenbar.

Warum müssen Polizei und Verfassungsschutz getrennt sein?

Das ist eine Reaktion auf die gefährliche Machtfülle der Geheimen Staatspolizei – Gestapo – im Dritten Reich. 1949 erklärten die Alliierten in ihrem Polizeibrief an den Parlamentarischen Rat, das neu geplante Bundesamt für Verfassungsschutz „soll keine Polizeibefugnisse haben“. Es solle also nur Informationen sammeln, aber keine Räume durchsuchen oder Personen festnehmen dürfen.

Welche Bedeutung hat dieser Polizeibrief heute noch?

Der Polizeibrief selbst gilt heute sicher nicht mehr. Spätestens mit der Wiedervereinigung sind die letzten Besatzungsvorbehalte entfallen. Allerdings haben die Alliierten dafür gesorgt, dass der Grundgedanke des Polizeibriefs auch ins Grundgesetz eingeflossen ist. Artikel 87 sieht daher unterschiedliche Zentralstellen des Bundes für die Kriminalpolizei und den Verfassungsschutz vor. Deshalb hat das Trennungsgebot heute noch Verfassungsrang.

Nun will ja niemand die Behörden zusammenlegen, es geht doch nur um Zusammenarbeit …

Stimmt. Aber ich glaube, man muss das Grundgesetz im Sinne des Polizeibriefs auslegen, sodass auch die Befugnisse getrennt bleiben sollen. Diese Trennung wäre jedoch bei einem Online-Zugriff auf die Erkenntnisse der jeweils anderen Behörde nicht mehr gewährleistet.

Ist die geplante Islamistendatei also nicht verwirklichbar?

Doch. Wenn man so eine Datei unbedingt will, muss man das Grundgesetz ändern und dort den Informationsaustausch von Polizei und Verfassungsschutz ausdrücklich erlauben. Dies würde der Gesellschaft auch signalisieren, dass hier eine bisher als wichtig angesehene Grenze überschritten wird.

Wurde das Trennungsgebot bisher konsequent beachtet?

Leider nein. Früher musste die Polizei offen agieren, inzwischen hat sie viele Befugnisse erhalten, die einst nur ein Nachrichtendienst hatte. Sie darf Verdächtige beschatten, Telefone abhören, Wanzen installieren und Verdeckte Ermittler einsetzen.

Waren die jahrzehntelangen Ausweitungen der Polizeibefugnisse verfassungswidrig?

Jedenfalls haben sie ein verfassungsrechtlich höchst bedenkliches Maß erreicht. Als Ausgleich ist zumindest sicherzustellen, dass die Polizei nach Abschluss heimlicher Maßnahmen die Betroffenen zeitnah informiert, sodass diese eine gerichtliche Überprüfung veranlassen können. Die Möglichkeit, unabhängige Gerichte anzurufen, ist schließlich ein wesentlicher Unterschied zu den Zeiten der Gestapo oder auch der Stasi.

INTERVIEW: CHRISTIAN RATH