Der Fastenprediger

„Wir laufen mit Scheuklappen durchdie Gegend, und dieheißen Auto“„Beim Golf-Effekt haben wir uns gnadenlos getäuscht, das warvöllig falsch“

VON ULRIKE HERRMANN

Er findet den Titel zwar „ein bisschen peinlich“, aber er lächelt breit: Kürzlich trat er zum ersten Mal bei Sabine Christiansen auf, und sie kürte ihn prompt zum „Autopapst“. Bescheidener lässt sich sagen, dass Ferdinand Dudenhöffer ein gefragter Experte ist, sobald es gilt, die Automobilbranche zu analysieren. Inzwischen, so schätzt der Professor, investiert er ein Viertel seiner Arbeitszeit in die Medien. Allein die Nachrichtenagenturen haben ihn dieses Jahr schon 257-mal erwähnt. Dudenhöffer ist ein Meinungsmacher.

Weitere Hobbys hat er nicht, sein Leben widmet er dem Automobil – und dem Standort Deutschland, den er in Gefahr sieht. Wann immer sich die Gelegenheit bietet, sagt er Folgendes: Die Löhne seien zu hoch, die Beschäftigten müssten Opfer bringen. Der 53-Jährige wartet nicht, bis man ihn bittet. Er ergreift Eigeninitiative, überlegt, welche Statistiken gefragt sein könnten. So ist auch sein größter Publikationserfolg entstanden: Die Tabelle mit den Stundenlöhnen in der Automobilindustrie. Sie zeigt, dass es kein Land gibt, wo es so teuer ist, ein Auto zu bauen wie in Deutschland: 33 Euro koste hier eine Arbeitsstunde, Japan liegt um über vier, die USA um über fünf, Frankreich um über zehn Euro darunter. Ganz weit hinten liegt die Slowakei – mit nur 4,30 Euro pro Stunde.

Für Dudenhöffer ist es daher zwingend, dass die VW-Beschäftigten bis 2011 auf mindestens 1,5 Milliarden Euro verzichten müssen. Den jetzigen Tarifabschluss findet er zwar „prima“, aber er hat längst nachgerechnet: Die VW-Arbeiter hätten tatsächlich nur etwa 650 Millionen Euro eingebüßt. Also fordert er weitere Sparrunden. Wie auch bei „Obbel“ (Opel) oder „Viert“ (Fiat). Dudenhöffer wuchs in der Pfalz auf. „Ich spreche wie Helmut Kohl, ich weiß.“

Auch sonst gibt sich der „Autopapst“ nicht pontifikal: Er sitzt nicht vor einem Glasschrank voller Matchbox-Autos und ist auch nicht mit neuen Modellen auf Hochglanzpostern umgeben. Im bequemen Poloshirt empfängt er im Wohnzimmer, bei Kaffee und Kuchen, während die Burmakatzen seiner Frau ins Nachbarzimmer verbannt sind. Das Auto interessiert ihn nur professionell – und deswegen so ausschließlich. „Ich finde es wichtig“, sagt er, „dass man sich für seinen Beruf begeistert.“ Und schon ist er wieder bei der Statistik. Im Sommer verglich Dudenhöffer die Gewinne bei BMW und Mercedes-Benz: Die Münchner machten pro Fahrzeug 7,2 Prozent Umsatzrendite, aber die Stuttgarter nur 6,1 Prozent. Das allein sollte erklären, warum die Arbeiter bei Mercedes auf 500 Millionen Euro verzichten müssen, obwohl der Konzern gerade einen Gewinn von 3,1 Milliarden Euro verbucht hatte.

Diese Erkenntnisse werden von vielen wie neutrale Nachrichten verbreitet; es fehlt der Hinweis, wie eng Dudenhöffer mit der Automobilindustrie zusammenarbeitet. So stammen die beiden Statistiken von CAR, dem „Center of Automotive Research“, das Dudenhöffer mit zwei Kollegen an der FH Recklinghausen gegründet hat. Dieses Institut wird „komplett aus Industrieaufträgen finanziert“, informiert eine Selbstdarstellung. Und weiter heißt es: „Wir erstellen Studien für Automobilunternehmen wie Audi und Mercedes oder die Zulieferer.“ Das bringt 200.000 Euro jährlich und versorgt inzwischen drei Mitarbeiter.

So steuert allein der ADAC 60.000 Euro bei, damit CAR die Markenstatistik „AutoMarxX“ erhebt. Dudenhöffer ist mit der Resonanz zufrieden: Diese „Bundesliga“ der besten Modelle werde „überall abgedruckt“ – unter dem Namen ADAC. Aber Dudenhöffer wäre nicht der rührige Akquisiteur, wenn dabei nicht „auch CAR wahrgenommen“ würde. Viel Geld bringt auch das jährliche CAR-Symposium, bei dem die VIPs der Automobilindustrie als Gastredner auftreten. Wer nicht auf dem Podium sitzt, ist zumindest als Sponsor dabei. Die Liste reicht von ABB bis Thyssen.

Dudenhöffer selbst macht mit CAR keinen Gewinn, sondern „die Industrie soll wissen, dass es diese FH gibt“. Möglichst gute Jobchancen will er den 50 bis 70 Wirtschaftsingenieuren bieten, die jährlich den Studiengang verlassen.

Auf langfristigen Ertrag hofft Dudenhöffer hingegen beim Prognose-Institut „B&D Forecast“, das er mit einem Partner privat gegründet hat. Auch dort erwirtschaften drei Angestellte inzwischen einen Jahresumsatz von 200.000 Euro, indem sie Marktdaten für Mercedes oder Toyota aufbereiten.

Zehn Jahre lang hat Dudenhöffer selbst in der Automobilindustrie gearbeitet. Er war bei Opel, Porsche, Peugeot und Citroën, bevor er 1996 die FH-Professur annahm. „Ich weiß, wie ein Automobilhersteller denkt.“ Dennoch hält er sich für objektiv. Natürlich, vor allem die finanziellen Verflechtungen mit der Industrie könnten ihn beeinflussen. „Die Gefahr ist immer da“, räumt er ein – um dies gleich wieder auszuräumen. Es beruhigt ihn, dass sich schon diverse Konzerne geärgert haben, weil er die Qualität ihrer Automarken kritisierte.

Doch damit kann die Branche offensichtlich leben – denn ebenso offensichtlich teilt Dudenhöffer ihre ökonomische Weltsicht. „Sicher, ja“, gibt er bereitwillig zu, „ich vertrete eine unternehmensnahe Position.“ Aber das ist nicht taktisch motiviert, sondern tiefste Überzeugung. „Uneingeschränkt“ hängt er der „neoliberalen, neoklassischen Theorie“ an, wie er sie in Mannheim bei seinem Doktorvater Horst Siebert kennen lernte, der dem Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung angehörte und später das Weltwirtschaftsinstitut in Kiel leitete. „Am besten sind Marktlösungen“, sagt er. In diesem Weltbild entsteht Arbeitslosigkeit nur, weil die Löhne zu hoch sind. Würden die Deutschen so wenig verdienen wie die Slowaken, dann gäbe es hier Vollbeschäftigung.

Es gibt Kollegen an der FH Recklinghausen, die finden diese Marktgläubigkeit „einfach nur naiv“. Sie schätzen Dudenhöffer persönlich, finden ihn entspannt und amüsant, weil man ihm direkt ins Gesicht sagen kann, „dass er nicht versteht, was Lohnstückkosten oder Stundenproduktivität sind“. Der Stundenlohn allein, der sage doch gar nichts, sagen ihm dann die Kollegen am Mensatisch. Man müsse berücksichtigen, wie viel in dieser Stunde produziert wird. Und da liegt Deutschland weltweit an der Spitze. Das weiß auch Dudenhöffer, aber es beeindruckt ihn nicht. „Alle fallen auf dieses Argument rein“, staunt er. Denn dieser Produktivitätsvorsprung, der sei doch auch teuer, „das erfordert massiven Kapitaleinsatz“. Er bleibt dabei, allein die Lohnkosten entscheiden.

Dazu gehören auch die Lohnnebenkosten, die momentan etwa 42 Prozent ausmachen. Wäre er dafür, sie stärker über Steuern zu finanzieren? Dudenhöffer lächelt, zögert, seine blauen Augen zwinkern. Dann gibt er einfach zu, dass er dazu keine Meinung hat: „Wir laufen mit Scheuklappen durch die Gegend, und die heißen Auto.“ Das Gesamtwirtschaftliche, das würden „der Klaus“ und „der Hans-Werner“ machen. Gemeint sind Hans-Werner Sinn, der das ifo-Institut in München leitet, und Klaus Zimmermann, der dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin vorsteht. Dudenhöffer kennt sie aus seiner Zeit als Hochschulassistent an der Universität Mannheim. Auch Wolfgang Franz gehört zu dieser „Mannheimer Clique“, er ist immer noch vor Ort, leitet heute das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung und ist gleichzeitig einer der sechs Wirtschaftsweisen. Sie alle waren bei neoklassisch orientierten Professoren beschäftigt, „und das prägt bis heute“. Gelegentlich hilft man sich gegenseitig. So hat Sinn eines der Gutachten geschrieben, das Dudenhöffer zu seiner Professur verhalf.

Man könnte es ein Meinungskartell nennen, das bundesweit die Analysen beherrscht. Besonders wenn es ums Auto geht. Außer Dudenhöffer gibt es zwar noch einen weiteren FH-Professor, den die Medien gelegentlich als „Autopapst“ titulieren: Willi Diez aus Nürtingen. Aber auch sein Institut finanziert sich komplett durch die Industrie. „Wir teilen uns den Markt“, sagt Dudenhöffer, „in der Automobilbranche ist Platz für viele.“ Da stört auch ein Gegenpapst nicht, zumal er ähnlicher Meinung ist.

Stören kann eigentlich nur noch die Realität, die sich manchmal nicht an die Prognosen hält. So blieb etwa der „Golf-Effekt“ einfach aus. Die Hoffnung, dass das neue VW-Modell aus der Golf-Serie den gesamten Automobilabsatz ankurbelte, erfüllte sich im vorigen Jahr nicht. Im Gegenteil: Die Verkaufszahlen des Golf V lagen weit unter den Erwartungen. „Da haben wir uns gnadenlos getäuscht.“ Dudenhöffer stöhnt schwer, wenn er sich daran erinnert. „Das war völlig falsch, das muss man zugeben.“

Seine Streitpartner vom Mensatisch wissen natürlich, was schief läuft in Deutschland. Die Nachfrage bricht weg, weil die Löhne nicht steigen. „Autos kaufen keine Autos, ich weiß“, winkt Dudenhöffer ab, für ihn zählt die globale Perspektive: In Deutschland werden etwas mehr als 3 Millionen Fahrzeuge im Jahr verkauft, weltweit sind es 52 Millionen. Da ist es fast egal, ob der Markt hier stagniert, global müssen die deutschen Autos bestehen. Also Löhne runter. So ähnlich hat er das auch im Fernsehsender ntv gesagt, vor dem Opelwerk in Bochum beim wilden Streik im Oktober. Schließlich wohnt er nur 300 Meter entfernt, in einem Flachbau aus den 60er-Jahren, es war das Haus des Schwiegervaters. Eine bescheidene Gegend. Sie passt zu Opel. Die Streikposten haben seinen Fernsehauftritt trotzdem nicht geschätzt: „Da gehe ich nicht mehr runter“, sagt Ferdinand Dudenhöffer, „sonst krieg ich eins auf die Mütze.“