Einbahnstraße ins Chaos

Auf seiner Sudan-Sondersitzung in Nairobi wird der Sicherheitsrat seine Unentschlossenheit in der Darfur-Frage betonen

VON DOMINIC JOHNSON

Der UN-Sicherheitsrat verlässt die UN-Zentrale in New York höchst selten. Wenn er ab heute in Kenias Hauptstadt Nairobi zu einer Sondersitzung zusammentritt, bei der es ausschließlich um den Krieg im Sudan geht, ist dies erst das fünfte Mal seit seiner Gründung 1948.

Der Grund: Sudan wird zum Testfall für die Fähigkeit der UNO, innerstaatliche Konflikte zu lösen. Als schlimmste humanitäre Katastrophe der Welt bezeichnen UN-Stellen den Krieg in der westsudanesischen Region Darfur, der seit Frühjahr 2003 rund 100.000 Tote und 1,8 Millionen Flüchtlinge und Vertriebene produziert hat. Er eskalierte in den letzten Monaten und könnte auf andere Landesteile übergreifen. Das gefährdet den brüchigen Frieden zwischen Sudans Regierung und den Rebellen des Südsudan, die 2002 nach einem jahrzehntelangen Krieg mit zwei Millionen Toten und vier Millionen Vertriebenen eine Waffenstillstand beschlossen hatten. Nun droht dem ganzen Land ein Flächenbrand, dessen Folgen nach deutscher Regierungseinschätzung den Kongokrieg mit seinen drei Millionen Toten in den Schatten stellen würden.

Eigentlich sollte es ja ganz anders kommen. Nach dem Waffenstillstand für Südsudan 2002 sollte es zügig ein umfassendes Friedensabkommen geben, nach dem der Südsudan autonom von der Sudanesischen Volksbefreiungsarmee SPLA regiert wird. Aber dieses Abkommen ist bis heute nicht fertig, und seither kam der Krieg in Darfur dazu. Die Rebellen in Darfur fragten sich: Wenn der Süden autonom sein darf, warum nicht auch andere Landesteile? Unterstützt wurden sie von der SPLA, deren Chef John Garang von einem föderalisierten Gesamtsudan unter seiner Führung träumt. Die Regierung wiederum will in Darfur beweisen, dass sie nach dem vereinbarten Verlust des Südens die Kontrolle über den Rest des Landes behält. Das erklärt ihre brutale Kriegführung.

So haben sich alle Seiten in Sudans Konflikten in eine Einbahnstraße der Eskalation hineinmanövriert. Die Südsudan-Friedensgespräche sollen am 26. November wieder beginnen. Der UN-Sicherheitsrat wird in Nairobi für den Erfolgsfall umfassende Wirtschaftshilfe und einen Schuldenerlass beschließen. Aus UN-Sicht ist Frieden im Südsudan die Vorbedingung für Frieden in Darfur.

Das heißt aber, dass Sudans Regierung mit einer Blockade der Südsudan-Gespräche auch eine Lösung für Darfur verzögern kann. Dies bedeutet mehr Gewalt und mehr Hunger. Hilfswerke rechnen mit einer massiven Zunahme des Lebensmittelbedarfs in Darfur im nächsten Jahr, weil die Bauern dort dieses Jahr wegen des Krieges nur 20 Prozent der üblichen Aussaat tätigen konnten. UN-Stellen warnen vor dem Zerfall Darfurs in Warlord-Gebiete.

Aber wichtige Ratsmitglieder, an erster Stelle Sudans größter Ölinvestor China, sperren sich gegen jeden UN-Beschluss, der über eine Unterstützung für Südsudans Frieden hinausgeht. China will nicht einmal, dass Darfur überhaupt in der in Nairobi abzustimmenden Resolution erwähnt wird. Ein britischer Resolutionsentwurf, der zu Darfur „weitere Schritte erwägt“, ist daher bereits abgeschwächt worden, um eine Blamage zu vermeiden. „Lieber überhaupt nichts zu Darfur als etwas ganz Schwaches“, fasst eine deutsche Beobachterin die Stimmung zusammen.

Das bringt Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen in Rage, denen schon die bisherigen unspezifischen Darfur-Beschlüsse des Sicherheitsrates nicht weit genug gingen. „Spezifische und mit Fristen versehene Umsetzungsmaßnahmen“ fordern sechs britische in Darfur tätige Hilfswerke. Die Deutsche Welthungerhilfe will mehr und effektivere afrikanische Friedenstruppen. Human Rights Watch und amnesty international verlangen ein Waffenembargo. Die Forderungen werden größer, die Erwartungen kleiner. In diesem Zwiespalt droht die UNO den Rest ihrer Glaubwürdigkeit zu verlieren.