Sündenböcke wehren sich

FALL LARA Mitarbeiter des Allgemeinen Sozialen Dienstes in Wilhelmsburg weisen Vorwürfe der Sozialbehörde zurück. Versäumnisse bei der Politik

Die neun Monate alte Lara war am 11. März tot in der Wohnung ihrer 18-jährigen Mutter und ihres Lebensgefährten in Wilhelmsburg gefunden worden. Das Baby wog laut Staatsanwaltschaft nur 4,8 Kilogramm – das Normalgewicht liegt in diesem Alter bei acht bis elf Kilo. Woran das Baby genau starb, ist weiter unklar. Nach dem Hungertod der siebenjährigen Jessica am 2. März 2005 im Stadtteil Jenfeld sollte das Kinderhilfesystem in der Hansestadt nachhaltig verbessert werden. Dazu zählte auch eine bessere personelle Ausstattung der sozialen Dienste. TAZ

Der für die Betreuung der möglicherweise verhungerten kleinen Lara zuständige Allgemeine Soziale Dienst (ASD) Wilhelmsburg hat die Kritik der Hamburger Sozialbehörde empört zurückgewiesen. „Besonders die Vorwürfe einer nicht ausreichenden Dokumentation, telefonische Abklärung statt Inaugenscheinnahme des Kindes sowie eine angeblich nicht erfolgte kollegiale Beratung erfüllen uns mit Unverständnis und Wut“, heißt es in einem am Dienstag übergebenen offenen Brief des ASD an Sozialsenator Dietrich Wersich (CDU). Wersich sei bereits seit September 2008 über die katastrophale Arbeitssituation des ASD informiert gewesen. Am Abend wollte sich der Familienausschuss der Bürgerschaft erneut mit dem Fall befassen.

Wersich hatte am vorigen Freitag einen Bericht zum Fall Lara vorgelegt (taz berichtete). Darin hieß es, dass für den Tod der unterernährten Lara auch zu viel Routine und Erfahrung bei den zuständigen Mitarbeitern verantwortlich gewesen sei. Sie hätten zu einem „unkritischen Blick“ geführt. Dem von der Sozialbehörde federführend verfassten Bericht zufolge hätten die Eltern und die vom ASD beauftragte Familienhelferin des „Rauhen Hauses“ – eines Trägers der Jugendhilfe – jedoch merken müssen, dass das Baby zum Arzt musste.

Die ASD-Mitarbeiter betonten dagegen in ihrem Schreiben, im September 2008 hätten sie schriftlich und dann noch einmal im Dezember 2008 mündlich darauf hingewiesen, dass die fachlichen Standards bei der Menge der Fälle nicht mehr eingehalten werden könnten. Damals seien es rund 70 pro Mitarbeiter gewesen, derzeit sogar 90. „Das unserem Kollegen Vorgeworfene war Ihnen, Herr Senator Wersich, bekannt und alltägliche Praxis.“ Statt konkrete Schritte einzuleiten, seien Anweisungen ergangen wie „Hilfeplanung light“ und „Prioritätensetzung“. Die ASD-Mitarbeiter erklärten: „Wir haben die Nase voll, als Sündenböcke herzuhalten für eine Politik, die es jahrelang versäumt hat, den ASD (…) ausreichend auszustatten.“

Soweit bislang bekannt, hatte der ASD Süderelbe für Laras Mutter und ihr Baby einen so genannten Hilfeplan erarbeitet. Nach ihrem Umzug wurde die junge Frau vom ASD Wilhelmsburg betreut – und dort sei das Kindeswohl aus dem Blick geraten, heißt es in dem Bericht der Sozialbehörde. Nicht einmal die Geburt des Kindes sei in der Akte vermerkt. Der ASD Wilhelmsburg habe die „Kontrolle über das Kindeswohl“ nicht mehr wahrgenommen. (dpa)