Stopfen in der Pipeline

Eine angebliche Milliardeninvestition einer Chemiefabrik lässt Wilhelmshaven vom Industrie-Boom träumen. Alles nur Blöff, sagen andere: Die Firma wolle 2006 schließen

Wilhelmshaven taz ■ Handelskammer und Oberbürgermeister reiben sich die Hände, von einer „Chemiedrehscheibe“ am Jadebusen ist die Rede, von einer Mega-Investition spricht die städtische Wirtschaftsförderungsgesellschaft (WFG). Mit der wachse der Industriestandort Wilhelmshaven über jene „kritische Größe“ hinaus, ab der sich dauerhaft Gewerbe ansiedeln lässt. Urheber der Euphorie: Der Chemiekonzern Ineos, der im Norden der Stadt mittels Elektrolyse Sole in Chlor und Natronlauge spaltet (Ineos Chlor Atlantik) und diese Rohstoffe ein paar Kilometer weiter zu Kunststoffen und Farben verarbeitet (European Vinyls Corporation).

Der Geschäftsführer des Chlorwerkes, Hans-Peter Kramer, zugleich Aufsichtsratsvorsitzender der WFG, lässt kaum eine Gelegenheit aus, den WilhelmshavenerInnen den Mund wässerig zu machen. 750 Millionen Euro sei Ineos bereit zu investieren, die Chlorproduktion solle verdreifacht werden. Noch einmal so viel Geld könne von anderen Chemiefirmen kommen, die sich in der Nachbarschaft niederlassen würden. Die Stadt stehe dem Projekt positiv gegenüber, so SPD-Oberbürgermeister Eberhard Menzel. Kein Wunder: Ineos ist vor Ort einer der größten Arbeitgeber und Gewerbesteuerzahler.

Die Investition ist allerdings an eine Bedingung geknüpft: den Bau einer Pipeline, in der sich Chemikalien vom rheinischen Marl nach Wilhelmshaven transportieren lassen – für das Unternehmen preiswert, denn die rund 100 Millionen Euro teure Röhre, da nimmt Kramer kein Blatt vor den Mund, müsste „überwiegend von der öffentlichen Hand“ finanziert werden. Gespräche im Kanzleramt hat’s schon gegeben, das niedersächsische Wirtschaftsministerium hat einem finanziellen Engagement grundsätzlich zugestimmt.

Allerdings, das bestätigt Oberbürgermeister Menzel, habe Ineos bislang weder für die Erweiterung seiner Fabrik noch für den Pipelinebau ein Planverfahren eingeleitet. Ein Finanzplan liege nicht vor, heißt es aus dem Ministerium in Hannover. Und Erweiterungsflächen habe der Konzern bislang auch keine erworben, sagt Joachim Tjaden, Stadtrat der Alternativen Liste. Das Märchen vom boomenden Chemiestandort am Jadebusen mag Tjaden daher nicht glauben. Die hochtrabenden Pläne, vermutet er, dienten nur dazu, vom Staat Geld für den Pipelinebau loszueisen und den extrem stromfressenden Betrieb von der Umlage zur Förderung erneuerbarer Energien zu befreien. Statt einer Verdreifachung der Chlorproduktion plane Ineos, die Chlorfabrik 2006 ganz dicht zu machen, will Tjaden von hochrangigen Mitarbeitern des Unternehmens erfahren haben. Rund 20 gut ausgebildete Angestellte habe die Firma bereits entlassen. Tjaden: „Das spricht nicht dafür, dass hier erweitert wird.“ Die Firma selbst will das nicht kommentieren: Zum angeblich milliardenschweren Großprojekt könne man „leider zu diesem Zeitpunkt noch keine Informationen geben“. sim