Schön zieht der Augenreiz

Die Moderne ist nicht am Ende, definiert das mächtigste Museum der Welt und präsentiert sich in einem neuen Bau. Statt einer stolzen Kathedrale ist er leider nur eine kühle Autobahnkapelle. Die Kunst aber ist der Star: „Für die Stadt, die Nation und die Welt“, sagt der Museumsdirektor Robert Menschel

VON HENNING KOBER

Morgens in Midtown. Die Sonne scheint von klarem Himmel. Es ist klamm kalt. Vor dem Citigroup Center sind zwei Taxis aufeinander geknallt. Die Fahrer schreien sich an. Auf dem Bürgersteig meditiert Falun-Gong geschäftsfördernd. „Change, change“, bettelt eine alte Frau in einem verwaschenen Shirt mit „Gap“-Aufdruck, die hektisch durch die Passanten torkelt. Zwischen dem Subway-Ausgang an der Lexington Avenue und der Hausnummer 11 West 53. Straße zähle ich vierzehn Obdachlose. Bei dieser Adresse wird heute, am Montag, die Türe hoch gemacht für die internationale Presse und ab Samstag, morgen also, dann auch für den Rest der Welt: Willkommen im Museum of Modern Art. Nach seiner Tournee nach Houston und Berlin und dem Exil in Queens ist das MoMA zurück am alten Ort in neuem Gebäude. Durch die Türe, links gleich die Abzweigung zum „Design and Book-Store“, vorbei, geradeaus, die Schritte gezogen vom Licht. Das fällt durch das Foyer hell in den niederen breiten Gang. Man kann in Zukunft auch ohne das Museum zu besuchen den Block zwischen 53. und 54. abkürzen. Jetzt steht da noch eine rote Kordel, weiter erst nach der Akkreditierung. Japanische Fernsehteams, Feuilletonchefs und deutsche Boulevardpresse drängt sich um die geschenkten Plastiktaschen mit MoMA-Aufdruck.

Wie kein anderes Museum ist dieses, 1929 von den drei Freundinnen Lilie P. Bliss, Mary Quinn Sullivan und Abbey Aldrich, einer verheirateten Rockefeller, gegründete Haus im Jahr 2004, an seinem 75. Geburtstag, ein Produkt. Hergestellt von einem Wirtschaftsunternehmen, finanziert von privaten Spendern. Es geht um viel Ehre, viel Geld und viel Macht. Entsprechend sind die im Vorfeld diskutierten Fragen: wie präsentiert das MoMA seine Sammlung, in welcher Reihenfolge, wie viel, von welchem Künstler, wo? Darf man wie geplant 20 Dollar Eintritt nehmen? Ist der Neubau von Yoshio Taniguchi die erhoffte Kathedrale? Das MoMA ist das Weiße Haus der Modernen Kunst; sein Einfluss auf die Kunstwelt weltweit und gewaltig; Leuchtturm und Leader. So ist es kein Wunder, dass es tatsächlich den Begriff „MoMA-Komplott“ gibt. Er meint unter anderem, das Museum zeige keine moderne Kunst, moderne Kunst sei vielmehr, was im MoMA gezeigt werde.

Aber schauen wir vielleicht einfach von der Passage und dem Foyer hinauf zum 33 Meter hohen Lichthof im zweiten Stock. Ins Blickfeld fällt ein Stück von Barnett Newmanns „Broken Obelisk“, ein Strahl Sonne leuchtet über den rostigen Stahl. Sanfter Wink, wir stehen hier zuerst im Zuhause sensibler Kunst, geschaffen von Menschen mit feinzarten Nerven. Klar ist, die Reihe dieser Geschichte erzählt sich unbedingt so: die Kunst, das Haus und das Geld.

Die Kunst

Eine frische Rolltreppe fährt hinauf in den zweiten Stock, an der Wand hinter Neumanns Obelisk hängen weit gespannt die verträumten „Seerosen“ von Claude Monet. Ein Durchgang führt in die Contemporary Gallery, Kunst nach 1970, für die es bisher immer zu wenig Platz gab. Die Räume sind dreimannhoch. Der Weg ist Treiben. „Martin, ab in die Ecke und schäm dich“, Kippenbergers Alter Ego trägt ein weißes Hemd, auf das merkwürdige Weltkarten-Muster gedruckt sind, und rote Hosenträger. Daneben hängt Gerhard Richters „Cityscope“. Unsicherheit um einen Stapel Plakate, klein, schwarz-weiße Gesichter darauf. Eine feiner englischer Herr macht schließlich den Pionier, rollt ein Papier und läuft davon. Später lese ich: Felix Gonzales-Torres druckte alle Ermordeten einer Woche auf sein Werk „Death by Gun“. Die ideale Stapelhöhe ist neun Inch, 22,5 Zentimeter. Die Nachproduktion ist auch nach seinem Tod gesichert. Weiter hinten gibt es wieder deutsche Künstler, ein Widescreen von Andreas Gursky „Rhein II“. Nach einer Weile knüppelt die Neugier. Also in den Aufzug nach oben, in den fünften Stock, wo die Kunst von 1880 bis 1940 ihren Platz hat. Doch anders als in den letzten Jahrzehnten hängt dort nicht mehr Paul Cézannes verlorener Junge, der „Badende“, sondern ein Porträt von Paul Signac, das den Kunsthändler „Felix Feneon“ zeigt. Eine Leihgabe für die ersten vier Monate von, richtig, den Rockefellers. Eine angekündigte Überraschung, gewaltige Titelgeschichten wurden über die neue Hängung geschrieben. Es geht nicht nur um das wichtige erste Bild. War der Gang durch die Ausstellung früher chronologisch vorgegeben, erlaubt die Architektur jetzt zwei Wege. Gleich links oder lieber rechts über den Steg mit Blick hinab in den Lichthof und dann hinein. Der Weg entscheidet gleichzeitig, ob die Kunstgeschichte mit Matisse beginnt (links) oder mit Picasso (rechts). Revolution! Putsch! Krieg!, wurde dieser Streich der Kuratoren im Vorfeld genannt. Wie das MoMA seine Bilder hängt, ist anderen die leitende Interpretation. Ich gehe ohne eine Münze zu werfen nach links, Henri Matisse’ „Rotes Studio“ hängt dort. Im Nebenraum „Die Abfahrt“, Triptychon von Max Beckmann, weiter hinten Marcel Duchamps „Fahrrad“. Fast alle Räume haben mehr als eine Tür, und wie die Beine so ganz automatisch kreuz und quer laufen, ist klar, warum die Geschichten über die Revolution der Moderne so lahm zu lesen waren. Die Sehnsucht des Gehirns nach sinnstiftender Ordnung der Zeit oder Entwicklung spielt beim Betrachten keine Rolle. Stattdessen zieht der Augenreiz. Zum Beispiel zu einem Bild des buntwilden Tanzes. „Broadway Boogie Woogie“ des niederländischen Malers Piet Mondrian ist eins dieser Stücke, die so ein anderes MoMA-Komplott auslösen. Einen Druck hat man auf Plakaten, Postkarten in Büchern gesehen, aber jetzt hier von Angesicht zu Angesicht rührt die Echtheit. Und die Farben. Sie verschieben sich, kreisen, knallen aneinander, sammeln sich neu. Schön ist das.

Das Haus

Nicht so schön ist dagegen der Boden. Wer hat nur dieses billig wirkende Laminat ausgesucht, dessen hoher Plastikanteil sich schon aus normaler Standhöhe erkennen lässt und das so wenig zu den dänischen Designmöbeln passt? Yoshio Taniguchi wohl nicht. Der 67-jährige japanische Architekt, der bisher nur in seinem Heimatland gebaut hat, blieb während der Bauzeit in Tokio. Zum ausführenden Architekten ernannte das MoMA Kohn Pedersen Fox, ein New Yorker Büro. Nein, die Kathedrale ist Erweiterungsbau nicht geworden, eher eine überdimensionale etwas langweilige Autobahnkapelle. Ja, es gibt überraschende Blicke aus den Galerien auf den Lichthof und raus auf die New Yorker Straßen. Doch das dunkle Glas suggeriert schon am frühen Morgen den späten Nachmittag und schafft genau die Distanz zu den freestylenden Jungs da unten, die ein Broker aus dem Trump-Tower empfinden mag.

Von außen ein Ensemble blockiger Formen, verschwindet das Gebäude mit seiner Granit-Glas-Fassade im gewöhnlichen Uptown. Eine hohe Aluminiummauer trennt Garten und Straße wie bei einer streng bewachten Botschaft. Yoshio Taniguchi, der großzügige 425 Millionen Dollar verbauen durfte, erklärt seinen Entwurf so: „Mein Modell war Manhattan. Sehen Sie den Skulpturengarten als den Central Park und die Gebäude drumherum als Stadtteile mit ihren verschiedensten Formen und Funktionen.“ Taniguchi hat ein klar strukturierte Haus gebaut, wie er es zuvor in Japan praktizierte, unter anderem für Toyota und Shiseido. Offenbar wollten das MoMA und seine Geldgeber, die Rockefellers und Lauders, genau das. Keinen Superblock, wie ihn Rem Kohlhaas in den Wettbewerb reichte. Der wollte eine Seilbahn durch die Haupthalle spannen. Jetzt ist das Wichtigste die Kunst, nicht das Gebäude; die Ausstellungsfläche konnte um ein Drittel erweitert werden, alle Mitarbeiter haben einen Büroplatz, das Bildungszentrum wird 2006 fertig.

Das Geld

Wer sind wir? Wohin wollen wir? Wegen ihrer im Vergleich zu Europa kurzen Geschichte hat die Moderne in den USA eine ganz andere Größe. „Für die Stadt, die Nation und die Welt“, bestimmt Robert Menschel, Präsident des Museums, entsprechend die Richtung. Auch das Wort „Leadership“ nimmt er in den Mund, bei der Pressekonferenz im sechsten Stock. Geschätzte 200 Kameras und sechsmal so viele menschliche Augen schauen auf „F-111“. Ein Pop-Art-Werk von James Rosenquist, das sich kolossal über die Wand spannt. Davor spricht jetzt gerade der Direktor, Glenn Lowry, dunkelblauer Anzug, rotes Einstecktuch. Er bezieht sich auf den Gründungsdirektor Alfred Barr Jr. und wünscht sich das Museum wieder als „Laboratorium der modernen Kunst“. Unausgesprochen geht es um ein langjähriges Problem des MoMA, von dem man sich jetzt zu befreien wünscht.

Die Moderne schien vorbei, die Atombombe, der Mondflug und Andy Warhol nur schwer zu überbieten. Ans Licht trat die Postmoderne. Das MoMA musste sich überlegen, ob und wie man weitersammeln konnte oder ob ein konservatorischer Schlussstrich nicht die richtigere Konsequenz wäre. „Nein, die Moderne ist noch nicht am Ende“, glaubt Lowry und hat sich durchgesetzt. Das Zeitgenössische darf weiter als neueste Moderne interpretiert werden, was Sinn macht, solange die Kunst keine grundsätzlich neue Form gefunden hat. Der Mann ist berühmt für seinen harten Umgang mit den Mitarbeitern, doch er ist auch ein äußerst erfolgreicher Spendensammler. „858 Millionen Dollar“, er nennt die Zahl selbst, wurden für das Budget der Neudefinition veranschlagt. 720 Millionen sind bisher zusammengebracht. Viel Geld in Zeiten der Rezession. Allein 500 Millionen kamen von den 42 Vorstandsmitgliedern. Deren Kreis hat Lowry in den letzten Jahren kräftig erweitert, überwiegend mit kräftigen Business-Milliardären, die in den kommenden Ausstellungen beweisen können, ob sie mutig genug sind, Schauen mit experimentelleren subversiven Werken zuzulassen. Die New York Times bezweifelt das. Der wirtschaftliche Erfolg des Unternehmens ist dagegen wahrscheinlich. Gerechnet werde mit 2,5 Millionen Besuchern, bei einem Eintrittspreis von 20 Dollar. Kein richtiger Skandal, es ist ein freier Freitagabend vorgesehen und die Mitgliedschaft schon ab 75 Dollar zu haben.

Jetzt ertönt, für eine Pressekonferenz erstaunlich, ausgiebiger Applaus. Für die Kuratoren. Den Direktor. Den Architekten. Ein älterer Mann, das weiße Haar zum Zopf gebunden, läuft auf Taniguchi zu, steht für ein Foto mitten im Blick der Kameras. Er hört nicht die wütenden Rufe. Bis einer ruft: „Lagerfeld go out off the way.“ Da dreht er sich um und duckt sich schnell auf den Boden.

Später. Im vierten Stock. Ich sitze vor „One“, das allein an einer großen Wand hängt. Das Gemälde ist eines von Jackson Pollocks größten „Drippings“, Tropf-Trief-Bilder. Auf grauer Leinwand viel Dunkelblau und viele weiße Klecksbahnen. Wirr durcheinander. Totales Chaos. Das Auge findet keinen Halt, die Linien geben sich Speed. Ich bleibe und schaue, zeitverlorene Stunden. Denn jetzt, sehen meine Augen in diesem Charivari, dass da einer gemalt hat alle Wunder der Welt.