Der Teppichhändler im All

Das türkische Kino bildet in Deutschland ein erstaunlich beständiges Paralleluniversum für sich. Mit der Sci-Fi-Klamotte „G.O.R.A.“ soll nun der Durchbruch zu einem deutschen Publikum gelingen

Der Teppichhändler Arif ist eine Schande für den türkischen Tourismus. Er führt japanischen Reisegruppen in Istanbul antike Fresken vor, die offensichtlich frisch gemalt worden sind. Er dreht Touristen gefälschte Teppiche an und tischt dazu rührselige Geschichten auf. Wirklichen Erfolg erhofft er sich von seinen UFO-Aufnahmen, mit denen er in Redaktionsstuben hausieren geht. Doch niemand kauft ihm die Fotos ab: auf den fliegenden Untertassen ist noch allzu deutlich der Schriftzug des türkischen Herstellers zu erkennen.

Dieser halbseidene Typ ist der sympathische Antiheld der türkischen Science-Fiction-Klamotte „G.O.R.A.“ – der ersten Science-Fiction-Komödie aus der Türkei, wie es heißt. In der Türkei gilt der Film bereits jetzt als erfolgreichster Kinostart aller Zeiten.

Obwohl „G.O.R.A.“ dort erst in der vergangenen Woche anlief, haben ihn schon weit über eine Million Menschen gesehen. Seit gestern läuft der Film nun auch in Deutschland. Und dürfte auch hier zu einem Kassenschlager werden – jedenfalls unter türkischstämmigen Kinogängern.

Garant dafür ist Cem Yilmaz, der das Drehbuch geschrieben hat und auch gleich in einer Doppelrolle auftaucht. Seine Stand-Up-Show läuft seit knapp zehn Jahren auf einem türkischen Privatsender und hat auch hierzulande ihre Fans. In der Türkei ist Cem Yilmaz derzeit der populärste Comedy-Star, so wie Bully Herbig hierzulande: Das legt den Vergleich zur deutschen Space-Klamotte „(T)Raumschiff Surprise“ nahe, die nach einem ähnlichen Muster gestrickt wurde.

Tatsächlich lässt sich an „G.O.R.A.“ ablesen, was kulturelle Globalisierung heißt. Denn von dem Moment an, in dem der Teppichhändler Arif von Außerirdischen ins All entführt wird, verwandelt sich der Film in ein Spiel aus universellen Hollywood-Filmzitaten und lokalem Kolorit. Die Handlung im Raumschiff und auf dem fremden Planeten verweist auf Filme wie „Krieg der Sterne“ und „Das fünfte Element“, und als der Teppichhändler im All eine Ausbildung zur Kampfmaschine durchläuft, erinnert das stark an „Karate Kid“ und „Matrix“.

Gleichzeitig können die entführten Türken im All jedoch nicht von ihren Sitten lassen. Sie trinken Raki im Weltraum und grillen Knoblauchwurst am Lagerfeuer. Doch auch die All-Bewohner scheinen allesamt eine orientalische Schwäche zu haben. Der (natürlich schwule) Android liest die Zukunft aus dem Kaffeesatz, wie das noch heute türkischer Brauch ist, die Prinzessin schwärmt für türkische Schmachtstreifen, und beide lieben Bauchtanz-Musik.

Es ist dieses selbstironische Spiel mit Türkei-Klischees, das die Popularität des Films bei einem türkischen Publikum ausmacht. Mit Produktionskosten von 5 Millionen Euro ist „G.O.R.A.“ aber auch einer der teuersten türkischen Filme aller Zeiten und ein Zeichen für den Quantensprung der türkischen Filmindustrie. Denn „G.O.R.A.“ ist Lichtjahre entfernt von jenen Schnurrbart-und-Tränen-Dramen, für die das türkische Kino einst so berüchtigt war. In den Siebzigerjahren wurden diese billigen Revolverfilme hierzulande in Gastarbeiter-Kinos gezeigt, in den Achtzigerjahren sorgten sie für den Boom türkischer Videotheken in deutschen Großstädten. Als in den Neunzigerjahren das türkische Privatfernsehen aufkam, das über Satellit auch in den hiesigen Regionen zu empfangen ist, starben diese Videotheken aus. Umso erstaunlicher, dass das türkische Kino in Deutschland jetzt wieder einen kleinen Boom erlebt.

Erst waren es nur einzelne Programmkinos, die populäre Filme aus der Türkei in ihr Programm nahmen. Inzwischen gibt es in ganz Deutschland mehrere Filmfestivals, die jedes Jahr einen Querschnitt des türkischen Filmschaffens präsentieren. Und erfolgreiche Kassenschlager aus der Türkei werden nicht mehr als Nischenphänomen gehandelt, sondern wie „G.O.R.A.“ jetzt bundesweit gleich in 70 Kinos gebracht. Die Werbung dafür läuft auf den entsprechenden Kanälen auf Hochtouren: Die türkischen Zeitungen und Zeitschriften sind voll davon, und in Migranten-Hochburgen wie Berlin-Neukölln prangen meterhohe Plakate an den Multiplex-Wänden. So hat sich ein filmisches Paralleluniversum etabliert, das dank deutscher Untertitel auch für Außenstehende zugänglich bleibt.

Ob das auch für der Humor gilt, ist eine andere Frage. Denn „G.O.R.A.“ bietet Türkenwitze, über die auch Türken lachen können. Manche Deutsche aber vielleicht nicht. DANIEL BAX