JACQUES CHIRAC KANN TONY BLAIR NICHT AUF EUROPÄISCHEN KURS BRINGEN
: „Les Misérables“ im Waterloo-Saal

Nun sind also die Europäer dran. Nachdem der britische Premierminister Tony Blair vorige Woche US-Präsident George Bush die Aufwartung machen durfte, lud er gestern den französische Präsidenten Jacques Chirac zu einem zweitägigen Besuch nach London ein. Es ist der Schlusspunkt der Feierlichkeiten zum hundertjährigen Bestehen der „Entente Cordiale“. Doch besonders herzlich ist das Verhältnis zwischen beiden Ländern derzeit nicht.

Chirac steht Blair eigentlich näher als Bush, in der Afrikapolitik und bei Maßnahmen gegen Klimaveränderungen etwa. Beim Nahen Osten wird es schon schwieriger. Blair will Druck auf Bush ausüben, damit der den Friedensprozess wieder anschiebt. Chirac findet, dass diese Taktik zum Scheitern verurteilt sei, und wünscht sich stattdessen ein gemeinsames europäisches Vorgehen.

Doch der Irakkrieg überschattet alles, und da sitzt Blair nun mal mit Bush in einem Boot. Chirac hat bisher vergeblich versucht, Blair enger an die europäischen Nachbarn anzubinden, und es wird ihm auch diesmal nicht gelingen. Der britische Premierminister sieht sein Land als „transatlantische Brücke zwischen den USA und Europa“.

Diese Brücke ist eine Einbahnstraße. Chirac höhnte voriges Wochenende zu Recht, dass Blair mal wieder mit leeren Händen aus Washington zurückgekehrt sei. Wenigstens ersparte er ihm die Wiederholung der Frage, wie er seinem Sohn Leo in 20 Jahren in die Augen schauen könne, wo er doch geholfen habe, einen Krieg anzuzetteln. Und Blair hat aus Rücksicht auf den Staatsgast den Waterloo-Saal im Schloss Windsor, wo gestern Abend zu Ehren Chiracs „Les Misérables“ aufgeführt wurde, für die Dauer der Aufführung in „Musikzimmer“ umbenannt, um den Präsidenten nicht an einen anderen Krieg zu erinnern.

So scheinen die beiden Regierungschefs wenigstens auf privater Ebene höflich miteinander umzugehen. Chirac findet es allerliebst, wenn der kleine Blair-Sprössling Leo auf ihn zukomme und „Bonjour, Monsieur Chirac“ sage. Vater Tony dagegen ist froh, wenn er heute Abend sagen kann: „Au revoir, Monsieur Chirac.“ RALF SOTSCHECK